Daniela Abke hat einen entspannten Dokumentarfilm über sechs Bewohner des Pariser Einwandererviertels Belleville gedreht, der nicht nur wegen seiner Schwarzfotografie viel Nostalgie verströmt. 2021 lief „Belleville, belle et rebelle“ beim Filmfest Hamburg.
Webseite: www.realfictionfilme.de/belleville.-belle-et-rebelle.html
Deutschland/Frankreich 2021
Regie & Buch: Daniela Abke
Darsteller: Joseph Pantaleo, Lucio Urtubia, Minelle Guy, Riton La Manivelle, Robert Bober
Laufzeit: 98 Min.
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 13. Oktober 2022
FILMKRITIK:
An einer Straßenecke im Pariser Einwandererviertel Belleville steht mit dem „Vieux Belleville“ das letzte Café Musette des Quartiers. Die Stammgäste aus der Nachbarschaft kommen teils seit Jahrzehnten hierher, um Chansons zu hören, über Kunst oder Politik zu streiten und sich bei Kaffee und Küsschen wieder zu versöhnen. Sechs von ihnen porträtiert Abke: Joseph verfasst eine Chronik des Viertels, Minelle ist Sängerin, der Autor, Fotograf und Filmemacher Robert Bober assistierte Truffaut bei „Sie küssten und sie schlugen ihn“, Riton la Manivelle spielt Bariton und Drehorgel, Steven ist ein Wandmaler aus Schottland, Lucio baskischer Maurer und Anarchist.
Die Mitwirkenden rücken in sechs Episoden in den Fokus. Die von Isabelle Casez („Alice Schwarzer“) geführte Kamera begleitet alltägliche Situationen im Wechsel aus halbnahen und weiten Einstellungen. Belleville wirkt wie eine abgeschlossene Welt, die aus der Zeit gefallen ist. Das Tempo ist gemächlich, die Bilder sind Schwarzweiß. Ohne Kommentar lässt Daniela Abke die Menschen selbst sprechen. Durch das Breitbildformat rücken oft mehrere von ihnen ins Bild, was die Debatten gut nachvollziehbar macht. Die Diskussionskultur ist typisch französisch, wenn die Meinungen etwa bei rechtlichen Fragen auseinander gehen. Der frühere Scheckfälscher Lucio fühlt sich zu Unrecht verurteilt, ein befreundeter Richter gibt Kontra, am Ende findet man wieder zusammen: dass Lucio die Pariser Kommune mit einem kleinen Kulturzentrum ehrt, goutieren alle.
Thematisch stehen Kunst und Kultur, Politik und Migration im Mittelpunkt. In den Gesprächen und Erinnerungen lebt die Vergangenheit ebenso auf wie in den Fotos „aus der Zeit, bevor alles abgerissen wurde.“ Damals verkauften die Künstler Liedtexte auf der Straße, heute treffen die Alteingesessenen am Grab von Eugène Pottier auf junge Touristen. Daniela Abke sucht die Spuren einer vergangenen Epoche in der Gegenwart – und findet Menschen mit Geschichte.
Christian Horn