Berg Fidel – Eine Schule für alle

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„Inklusive Schule“ ist ein vieldiskutiertes Schlagwort im Bildungssektor: Es geht um Schulen, die nicht ausgrenzen wollen, sondern integrieren. „Die Berg Fidel“ Schule in Münster folgt diesem Konzept und steht im Mittelpunkt des genau beobachteten Dokumentarfilms von Hella Wenders. Angenehm undogmatisch porträtiert sie die Schüler und enthält sich dabei jeder Wertung über Vor- und Nachteil dieser besonderen Schulform.

Webseite: www.bergfidel.wfilm.de

Deutschland 2011 - Dokumentation
Regie: Hella Wenders
Länge: 87 Minuten
Verleih: w-film
Kinostart: 13. September 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Kaum ein Thema wird so hitzig diskutiert wie das Bildungssystem. Von Elite-Universitäten bis zu Kinderkrippen, in denen schon Kleinkinder Fremdsprachen lernen sollen, reicht die Palette der Orte des Lernens. Eine der prägendsten Phasen im Leben von Kindern ist die Grundschule, die den zukünftigen Weg durch das Bildungssystem vorgibt. Eine der modernsten Formen der Schule nennt sich „Inklusive Schule“ und vertritt die These, dass Kinder nicht getrennt, sondern im Gegenteil mit möglichst vielfältigen Gleichaltrigen in Kontakt treten sollen. In der „Berg Fidel“ Schule in Münster, die Thema von Hella Wenders (Wims Nichte) erster langer Dokumentation ist, wird nicht zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern unterschieden und auch nicht zwischen besseren und schlechteren Schülern. Kinder von Asylbewerbern lernen neben Sprösslingen von Bildungsbürgern, Körper- oder Lernbehinderte neben Hochbegabten.

Vier Kinder hat Wenders an der Schule, an der ihre Mutter als Lehrerin arbeitet, über drei Jahre beobachtet. Anita ist Tochter eines Asylbewerbers aus dem Kosovo, hat Probleme mit dem Lernen und lebt unter der ständigen Sorge, dass die Aufenthaltsgenehmigung der Familie nicht verlängert wird. David und Jakob sind Brüder, letzterer leidet am Down-Syndrom, verständigt sich mit einem Sprachcomputer, vor allem aber der Hilfe seiner Klassenkameraden, die ihn verstehen und „übersetzen“ können. David wiederum hat schwere Sehprobleme, ist aber dennoch hochintelligent, malt komplizierte Bilder und komponiert erstaunliche Melodien am Flügel. Lucas schließlich träumt trotz seiner Lernschwäche von einer Karriere als Landwirt, für die er sich besonders um gute Noten bewirbt.

Das besondere an „Berg Fidel“ ist nun die Erzählperspektive. Im Mittelpunkt stehen konsequent die Kinder, die Wenders vor allem in der Schule, aber auch in ihrer Freizeit und zu Hause beobachtet. Erwachsene, Lehrer, Eltern kommen nur im Kontext der Kinder zu Wort, werden aber nie gesondert zu ihrer Meinung über die spezielle Art der Berg Fidel-Schule befragt. Allein die Kinder sprechen und liefern bemerkenswert klarsichtige Kommentare über sich, ihre individuellen Probleme und die Vorteile ihres großen, freien Schulsystems ab. Hier wird nicht nur streng gelernt, nicht stur gepaukt, sondern auch gebastelt, gespielt, das Miteinander geübt. Diskussionen über den Unterrichtsstoff gehören ebenso dazu wie Gespräche über Gerechtigkeit oder die Frage was es bedeutet, anders zu sein.

Völlig wertfrei zeigt Hella Wenders diese Schule, deren besondere Vorzüge sich so ganz von selbst erschließen. Besonders im letzten Drittel, wenn sich das Ende der Grundschulzeit abzeichnet, schwingt viel Wehmut durch den Film. Werden die Kinder durch das starre Bildungssystem Deutschlands doch zukünftig größtenteils genötigt, auf „Sonderschulen“ unterschiedlicher Art zu gehen. Irgendwann will die Berg Fidel-Schule bis zur 13. Klasse unterrichten, doch bis dahin ist sie fast so etwas wie eine Oase im deutschen Bildungssystem, in der zukünftigen Generationen ganz beiläufig Werte vermittelt werden, die allzu oft vernachlässigt werden. Darauf aufmerksam zu machen ist eine der größten Stärken von Hella Wenders Dokumentation.

Michael Meyns

Eine Schule in Münster. Vier Grundschuljahrgänge. Und doch ist sie nicht wie die anderen Schulen. Denn hier sind auch beeinträchtigte Kinder, Kosovo-Flüchtlingskinder und farbige Kinder mit von der Partie. Jakob leidet am Down Syndrom, Lucas tut sich mit der Konzentration und dem Lernen schwer, ein anderer sieht und hört nicht besonders gut, ist aber gescheit, will „ab und zu einsam sein und in Gedanken abtauchen“, einem nächsten fehlt etwas anderes.

Sie lernen, musizieren, treiben Sport, spielen, malen. Es gibt eine Forscherwerkstat. Sie wollen Astronom werden, Autos tunen, Model sein. Im wöchentlich einberufenen Klassenrat werden Probleme geklärt, jene, die sich etwas zuschulden kommen ließen, namentlich hervorgehoben und Streitereien „abgehakt“.

Einer ist überzeugt, dass Rechtshänder klüger sind als Linkshänder, ein anderer wünscht sich in der weiterführenden Schule einen Kaugummiautomaten. Für wieder einen anderen sind die Pausen das Schönste. Für manche sind weiterführende Schulen „Schulen, da wo die Streber sind“.

In Gefahr abgeschoben zu werden ist die Roma Anita aus dem Kosovo. Der „Duldungsstatus“ scheint seinem Ende zuzugehen. Deshalb wird demonstriert. „Abschiebung ist oft Beihilfe zum Mord“, heißt es auf einem der Transparente.

Die Kinder sind in ihrer Natürlichkeit verblüffend, rührend.

Und diese Grundschule ist so, wie eine Grundschule sein muss. Natürlich ist es nicht ganz einfach. Die Intelligenzunterschiede zwischen den Kleinen sind groß. Die Lehrer, oft Sonderpädagogen, sind nicht zu beneiden – eher zu bewundern. Sie legen eine Geduld und Großzügigkeit an den Tag, von denen man sich eine Scheibe abschneiden kann.

Die Zeit liegt noch nicht lange zurück, in der Behinderte und Fremde von der Allgemeinheit ausgeschlossen wurden. Die Lehrer- und Klassengruppe, die in dieser filmisch einfachen aber guten Dokumentarproduktion geschildert wird, zeigt, wie es (hoffentlich bald überall) sein kann – und muss.

Ein Film, der zum Nachdenken veranlassen könnte.

Thomas Engel