Berlin Excelsior

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Hereinspaziert zum Menschen-Zoo! Als Gehege dient das Excelsior-Haus in Berlin-Kreuzberg, ein Mega-Wohnkomplex mit 514 Apartments samt Panorama-Restaurant auf dem Dach. Das einst größte Wohn- und Geschäftshaus der Stadt hat die besten Zeiten längst hinter sich. 1968 wurde der Stahlbetonbau in Sichtweite des Anhalter Bahnhofs aus dem Boden gestampft. Die großen Pläne mit Helikopter-Landeplatz und Schwimmbad verpufften schnell. Nun leben ganz normale Menschen in dem Hochhaus. Wie sie das tun, welche Träume und Ängste sie haben, das wird zum Objekt der dokumentarischen Begierde zweier junger Filmemacher. Mit empathischem Blick und unaufdringlicher Leichtigkeit begleiten sie ein paar Dutzend Mieter. Darunter schrullige Figuren, zickige Zeitgenossen sowie auch angenehme Mitmenschen. Ein kleiner Kosmos, ein vertikales Dorf in der Großstadt. Teilnehmende Beobachtung mit Herz, die auf sarkastische „Spiegel TV“-Attitüden verzichtet und auch visuell einige einfallsreiche Bilder zu bieten hat.

Webseite: www.pandorafilm.de

D 2018
Regie: Erik Lemke
Darsteller: Claudia Mittag, Norman Specht, Michael von Gemert, Richard Habstreit
Filmlänge: 87 Minuten
Verleih: Pandora Film
Kinostart: 29.11.2018

FILMKRITIK:

„Wir können alles – außer gewöhnlich!“ – das könnte als Motto des schwäbischen Produzenten Peter Rommel gelten. Neben verlässlichem Premium-Arthaus von „Halbe Treppe“ über „Wolke 9“ bis „Halt auf freier Strecke“, präsentiert sich Rommel als Entwicklungshelfer für ambitionierte Jungfilmer. Sei es mit einer Doku über „Stuttgart 21“ oder jetzt mit dieser Dokumentation über das Excelsior-Haus in Berlin, einen pompösen Wohnkomplex aus den Sechziger Jahren mit über 500 Apartments.
 
Erik Lemke (Regie und Buch) und André Krummel (Koautor und Bildgestaltung) begeben sich mit der Kamera auf die Spurensuche im anonymen Berliner Stahlbetonbau Excelsior. Auf Off-Kommentare wird völlig verzichtet und ganz auf teilnehmende Beobachtung gesetzt. Von den rund drei Dutzend Mietern werden einige intensiver porträtiert, andere nur impressionistisch kurz vorgestellt. Da trainieren zwei junge Sportler etwa recht angestrengt miteinander, während eine Wohnung weiter ein alter Mann auf dem Heimtrainer gemächlich in die Pedale tritt oder hinter der nächsten Tür ein Herr im Unterhemd liebevoll mit Buntstiften seine Kunstwerke malt.
 
Mehr Zeit bekommt jener ältere Stricher aus dem 14ten Stock, der sich auf Internet-Portalen 20 Jährchen jünger macht, um Kunden zu ködern. Oder mit einem YouTube-Tutorial für Make-Up sein Glück versucht. Träume hegen so manche Mieter in der eher trostlosen Wohnanlage und finden dort durchaus solidarische Unterstützer. Jener freundliche Fotograf etwa, der mit Bewerbungsfotos und guten Ratschlägen einer ehemaligen Tänzerin zur zweiten Karriere als Schauspielerin verhelfen möchte. Derweil er den hochtrabenden Start-Up-Plänen eines vom Beruf enttäuschten Erziehers einen ziemlichen Dämpfer gibt. „Ich fühle mich halt so, dass ich mehr machen möchte!“ schwärmt der Pädagoge stur weiter. Er möchte endlich mehr als die 1.600 Euro netto im Monat verdienen. Der Job als Life-Coach soll’s richten und endlich den Traum vom schicken Sportwagen ermöglichen – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
 
Zwischen diesen kleinen Geschichten über große Träume wird mit alten Wochenschau-Aufnahmen die Historie des Excelsior eingestreut. Dessen wechselvolle Geschichte mit glamourösen Plänen und grandiosen Pleiten korrespondiert gleichermaßen mit jenen Schicksalen seiner Bewohner.  
 
Im wohltuenden Unterschied zum selbstgefälligen Sarkasmus à la „Spiegel TV“ und Co. führt das Dokumentaristen-Duo Lemke und Krummel seine Protagonisten nie verächtlich vor, sondern lässt ihnen stets ihre Würde. Selbst die schräge Esoterik-Beratung von zwei selbsternannten Hobby-Heilern verkommt da nicht zur billigen Lachnummer. Programmatisch für die ganze Haltung dieser liebevollen Bestandsaufnahme des Alltags ist jene alte Dame, die amüsiert erzählt, wie ein Liebhaber einst auf ihre Falten mit dem Kompliment reagiert: „Eine Rose bleibt immer eine Rose!“.
 
Dieter Oßwald