Bernadette

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Maria Semples Roman „Wo steckst du, Bernadette?“ entwickelte sich 2012 zum Erfolg und fand sich ein Jahr auf der Bestsellerliste der „New York Times“. Die Filmrechte wurden schnell verkauft, die Umsetzung bedurfte aber Zeit. Einerseits benötigte man für diese Geschichte einer Künstlerin, die nichts mehr erschafft und dadurch zu einer „Bedrohung für die Gesellschaft“ wird, wie es im Film so schön heißt, den richtigen Regisseur, aber auch den richtigen Ansatz. Denn Richard Linklater musste sich der Herausforderung stellen, einen Film aus einem Roman zu machen, der nur aus Briefen und E-Mails besteht. Die Umsetzung in eine lineare, narrative Struktur ist ihm sehr schön gelungen.

Webseite: www.Bernadette-Film.de

Where’d you go, Bernadette
USA 2019
Regie: Richard Linklater
Buch: Richard Linklater, Holly Gent Palmo, Vincent Palmo
Darsteller: Cate Blanchett, Billy Crudup, Kristen Wiig, Emma Nelson, Laurence Fishburne
Länge: 110 Minuten
Verleih: Universum Film
Kinostart: 21. November 2019
 

FILMKRITIK:

Bernadette (Cate Blanchett) war ein aufsteigender Stern am Architekten-Himmel. Sie verantwortete zwei großartige Gebäude, danach warf sie alles hin und ging mit ihrem Mann, dem sehr erfolgreichem Elgie (Billy Crudup) nach Seattle. Beide bekamen eine Tochter namens Bee (Emma Nelson) und Bernadette befasste sich nur noch mit ihr, wurde in ihrem Verhalten aber immer erratischer. Sie hasst Seattle, sie verabscheut ihre Nachbarn und sie meidet jeden sozialen Kontakt, so gut es nur geht. Als Bee sich jedoch wünscht, dass die Familie einen gemeinsamen Trip per Schiff in die Antarktis unternimmt, lässt das Bernadette endgültig ausrasten. Bernadette verschwindet – und Elgie und Bee suchen sie.
 
Das Buch ist aus Bees Perspektive erzählt, der Film konzentriert sich auf Bernadette und offeriert Cate Blanchett einmal mehr eine jener schrägen und schrulligen Rollen, in denen sie so gut ist. Entsprechend ist es pure Freude, ihr zuzusehen, wie sie sich mit den Nachbarn anlegt, von der Welt abkapselt und nur in ihrer eigenen Blase lebt. Das ist oftmals witzig, manchmal aber auch mit einem Hauch Tragik versehen, weil Bernadette ein schöpferischer Geist ist, der in all der Tristesse und Banalität des normalen Lebens unterzugehen droht. Oder eigentlich schon untergegangen ist, weil Bernadette sich von dem zurückgezogen hat, was ihre Passion ist.
 
Damit ist „Bernadette“ natürlich auch die Geschichte einer Selbstfindung, eines Ausbrechens aus alten Mustern, einer bewussten Entscheidung, dem Trott zu entgehen und wieder zu werden, wer man einmal war. Es ist eine Phantasie, die für die meisten Zuschauer immer nur das bleiben wird. Sicherlich, nicht jeder besitzt das Genie einer Bernadette, ihr Selbstfindungstrip ist aber auch nur möglich, weil sie in einer Blase des einen Prozents lebt. Der Familie gehört ein großes, herrschaftliches Haus, der Vater verdient immens gut, und der Wunsch der Tochter, die Antarktis zu besuchen, wird nicht nur verworfen, sondern unterstützt, weil sich die Frage nach der Finanzierbarkeit gar nicht stellt.
 
So existiert „Bernadette“ in einer merkwürdigen Zwischenwelt, ist von der Motivation und der Handlungsweise der Figuren nachvollziehbar, präsentiert aber ein Leben, das weit jenseits dessen ist, was die meisten Zuschauer wohl verstehen können. Das macht den Roman, mehr aber noch den Film zu einer Geschichte über Privilegien, denn ohne diese könnte es sich Bernadette gar nicht leisten, in Richtung Antarktis aufzubrechen und eine Verbindung zu ihrem früherem, jüngerem Ich zu finden.
 
Das lässt „Bernadette“ ein wenig aus der Zeit gefallen erscheinen, weil es nicht die Problematik normaler Menschen ist, die aufscheint. Oder vielleicht doch, nur dass diese niemals tun können, was Bernadette und ihre Familie tun. Insofern wirkt „Bernadette“ wie ein Märchen aus einer anderen Epoche, als die Welt noch ein schönerer Ort der unbegrenzten Möglichkeiten war – oder zumindest in der Erinnerung so anmutet.
 
Peter Osteried