Besties

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„Besties“ ist so etwas wie eine moderne Version von Romeo und Julia – nur in einer miesen Pariser Gegend und mit zwei Mädchen, die verschiedenen „Gangs“ angehören. Ganz zu schweigen davon, dass in ihrem Kulturkreis gleichgeschlechtliche Liebe gar kein Thema ist. Der Film greift so mehr als ein Thema auf und schafft es, allen im Verlauf von nur 80 Minuten gerecht zu werden.

Webseite: https://salzgeber.de/besties

Les meilleures
Frankreich 2021
Regie: Marion Desseigne-Ravel
Buch: Marion Desseigne-Ravel
Darsteller: Lina El Arabi, Esther Bernet-Rollande, Kiyane Benamara

Länge: 80 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 29. Juni 2023

FILMKRITIK:

Nedjma lernt Zina kennen. Die ist neu hergezogen und erregt sofort Nedjmas Aufmerksamkeit. Aber Zinas Cousine gehört einer Mädchen-Gang an, mit der Nedjmas Gruppe im Clinch liegt. Es kommt zu Handgreiflichkeiten, zu Streit, zum Versuch, die anderen bloßzustellen. Aber auch zu einem zarten Anbandeln. Nedjma und Zina verstehen sich sehr gut. Sie beginnen, einander zu lieben, aber Nedjma hadert damit. Weil sie das Gefühl hat, ihren Freundinnen gegenüber illoyal zu sein, aber auch, weil es in ihrem vor allem von Einwanderern bewohnten Viertel nicht leicht ist, wenn man eine andere sexuelle Orientierung hat.

„Wir sind aus Algier geflohen, weil es dort zu eng war“, sagt Nedjmas Mutter. „Hier konnten wir frei sein, und ihr lest den Koran und überwacht euch gegenseitig.“ Nur ein Satz, aber eine treffende Beobachtung. Dass die nächste Generation der Einwanderer – jene, die eigentlich schon in der neuen Heimat geboren wurden – oftmals frommer sind als ihre Eltern. Oder zumindest den Druck spüren, den Traditionen gerecht zu werden. Nedjmas Mutter ist da anders, aber auch ihr kann sie nicht sagen, wie sie wirklich ist. Vielleicht würde sie es verstehen, aber Nedjma will das nicht riskieren.

„Besties“ versteht es gut, den sozialen Druck zu zeigen. Den Gruppenzwang. Die Notwendigkeit, so zu sein, wie die anderen einen sehen. Er zeigt aber auch, was passiert, wenn man aus der Norm ausbricht, wenn man zu sich selbst steht. Dann trennt sich bei den Freundinnen sehr schnell die Spreu vom Weizen. Der Film erzählt also nicht nur eine recht moderne Version von Romeo und Julia, sondern erhält durch das Einwanderer-Milieu und die gleichgeschlechtliche Komponente eine ganz andere Wirkkraft.

Ein einfaches Ende kann der Film nicht haben. Sicher, die Figuren finden nicht wie bei Shakespeare den Tod. Zumindest nicht den körperlichen. Aber in einer der traurigsten Szenen des Films erklärt Nedjma, dass sie an ihrem sicheren Ort – auf dem Dach, auf dem sie Zina trifft – sie selbst ist und alles, was sie sagt, wahr ist. Wenn sie sie dort draußen trifft, dann kennen sie sich nicht. Im schlimmsten Fall müssten sie sich sogar schlagen.

So geht es auch darum, dass jemand daran scheitert, wirklich zu sich zu stehen. Oder anders gesagt: Bei Nedjma sind nur die ersten Schritte getan, der Weg heraus aus dem Schrank ist aber noch ein weiter.

„Besties“ ist psychologisch stark, auch gefühlvoll, vor allem wirkt er aber authentisch und wahrhaftig. Eine kleine Perle des jungen queeren Kinos Frankreichs.

 

Peter Osteried