Bibliotheque Pascal

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Die „Bibliothèque Pascale“ steht in Liverpool und ist ein Edelbordell. Ihren Anfang aber nimmt die nach ihm benannte ungarisch-deutsche Produktion in einer rumänischen Amtsstube bzw. auf einem Jahrmarkt. Dazwischen breitet Regisseur Szabolcs Hajdu die Geschichte der jungen Mona aus, die um das Sorgerecht für ihre Tochter kämpft. Indem sie ihre Erlebnisse und Erinnerungen in der „Bibliothèque“ Revue passieren lässt, flüchtet sich der Film in oftmals surreale Traumwelten und verklärt damit das eigentliche und ernste Thema Zwangsprostitution und Menschenhandel zu einem in optischer Hinsicht gelungenen ästhetischen, aber auch bizarren Filmmärchen.

Webseite: www.bbp-film.de

Ungarn/Deutschland 2010
Regie: Szabolcs Hajdu
Darsteller: Orsolya Török-Illyés, Oana Pellea, Razvan Vasilescu, Andi Vasluianu, Shamgar Amram
Länge: 111 Minuten
Kinostart: 9.6.2011
Verleih: Camino Filmverleih

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Drei Jahre hat die Rumänin Mona (Orsolya Török-Illyés, Frau und Muse des Regisseurs) ihre kleine Tochter in die Obhut einer Tante (Oana Pellea) gegeben, notgedrungen zwar, aber da konnte Mona noch nicht ahnen, was sich in der Folgezeit so alles ereignen würde. Was sie erlebt hat, daran hätte sie im Traum nicht zu denken gewagt; nun aber lässt sich das Erlebte nur durch die Flucht in Träume ertragen. Für den Herrn beim Jugendamt (und damit auch für den Kinozuschauer), der wissen will, unter welchen Umständen Mona die Verantwortung für ihr Kind aufgegeben hat und in welcher Form sie diese nun wieder zu übernehmen in der Lage ist, ist dies keine einfache Situation, zwischen Realität und Trauma zu unterscheiden.

Wie sich das für einen in Rumänien spielenden Film gehört, wimmelt es hier von zwielichtigen Gestalten. Auch Viorel (Andi Vasluianu) der Vater von Monas Kind, wirkt wenig vertrauenserweckend, mehr noch, als er Mona nach ihrer wegen eines Streits notwendigen Flucht aus ihrem Dorf als Geisel nimmt. Kurios dabei schon, wie er in Monas Leben tritt: sie liegt ahnungslos an einem Strand, weit und breit kein Mensch, und doch ist er plötzlich neben ihr. Wie er das tut, darüber soll hier nichts Näheres verraten werden. Oder handelt es sich hierbei schon um einen ersten Traum? Als Mona ihre Tochter gebiert, ist Viorel jedoch längst Geschichte.

Als Puppenspielerin auf dem Jahrmarkt begegnet sie eines Tages ihrem Vater wieder, der ihr von einem Tumor in seinem Kopf erzählt und sie darum bittet, ihn nach Deutschland zu einem Arzt zu begleiten. Was Mona nicht ahnt: sie wird in eine Falle gelockt und von Mädchenhändlern nach England verschleppt. Der Bordellbesitzer Pascal (Shamgar Amram) wählt sie aus als Besetzung für das in seinem Luxusetablissement nach literarischen Figuren benannten Räumen noch freie Zimmer der Jeanne d’Arc.

Daheim wächst derweil Tochter Viorica mit der als Wahrsagerin arbeitenden Tante auf. Die entdeckt bei ihrer Enkelin die von ihrem Vater Viorel geerbte Gabe, Träume projizieren zu können. Der Raffzahn von Tante wittert in ihr eine Jahrmarktsattraktion, was jedoch bald schon die Polizei auf den Plan ruft und Viorica in staatliche Obhut bringt. In ihren Träumen imaginiert das Mädchen aber bald schon ein Wiedersehen mit dem toten Großvater als Retter der in der Bibliothèque Pascal gefangen gehaltenen Frauen.

Es ist nicht immer ganz einfach, die Perspektivwechsel zwischen Realität und Traumwelten, Erinnerungen und Verdrängtem nachzuvollziehen. Mal erlebt man in diesem Film ausgelassene Stimmungen wie in den Filmen von Emir Kustiruca, dann wiederum wird es verspielt wie bei Michel Gondry und schließlich obskur wie in der Welt eines David Lynch. Mona ist in dieser Geschichte eine passive Figur, ein Spielball und eine Projektionsfläche der Ereignisse um sie herum. Diese werden dem Zuschauer in immer neuen Wendungen und mit stets starken, ja opulenten Bildern serviert.

Dass hier Parallelwelten betreten werden, liegt auf der Hand, ganz offensichtlich aber ist es nicht. Spürbar wird allerdings auch, dass der Geschichte trotz all ihrer Märchenhaftigkeit ein wahrer, schmerzlicher Kern zugrunde liegt – sei es das kriminelle Milieu des Menschenhandels, sei es die bizarre Perversität von Lust, Fetisch und Prostitution unter dem Deckmäntelchen von Hochkultur. Der Film „Bibliothèque Pascal“ wird durch seine Flucht ins Imaginäre selbst zu einer von allerlei skurrilen Figuren bevölkerten Art Jahrmarktsspektakel. In diesem Sinne ist der Film auch ein Ereignis, auf das man sich einlassen und überraschen lassen muss. Belohnt wird man dabei von einem Kino der Illusionen.

Thomas Volkmann

Rumänien. Mona verliert auf einem Volksfest ihren Partner, weil sie mit einem anderen Mann flirtet (allerdings hat der Partner sich auch übel benommen).

Mit dem nächsten Mann geht es nicht viel anders; sie verlässt ihn schnell. Dann allerdings begegnet sie Viorel, einem Ganoven, der sie zuerst als Geisel nimmt – und dann mit ihr schläft. Zwischen beiden scheint sich etwas anzubahnen. Doch Viorel wird am nächsten Tag von der Polizei auf der Flucht erschossen

Mona ist wieder allein. Allerdings nicht ganz, denn die Nacht mit Viorel hat zu dem Töchterchen Viorica geführt. Auf Jahrmärkten und Volksfesten versucht sie jetzt ihr Geld zu verdienen.

Nach langer Zeit trifft sie wieder mit ihrem Vater zusammen. Der bittet sie, ihn zu einer medizinischen Behandlung zu begleiten. Das Kind kommt zu einer Tante, einer dubiosen Wahrsagerin.

Doch in Wien angekommen verkauft der eigene Vater seine Tochter an Menschenhändler. Diese verschleppen sie nach Liverpool, wo sie wie auf einem Sklavenmarkt von Pascal erworben wird, der sie in das Luxusbordell Bibliothèque Pascal steckt. Zuerst gibt sich dieser Pascal weltmännisch und charmant, dann aber verlangt er von Mona nur noch Perversitäten. Neben erzwungenem und gewalttätigem Sex muss sie beispielsweise in Latex gesteckt als Desdemona Shakespeare zitieren.

Als Mona nach Rumänien zurückkehrt, hat sie sich vor dem Jugendamt zu rechtfertigen und zu versichern, dass sie für die Zukunft ihrer Tochter sorgen und eine gute Mutter sein wird. Dazu erzählt sie ihre Geschichte, die die Haupthandlung des Films ausmacht.

Regisseur Szabolcs Hajdu berichtet das alles nicht linear, sondern mit überbordender Phantasie, mit Träumen und Albträumen, mit Sein und Schein, mit Farben und Stimmung, mit Perversitäten und Abnormitäten, mit unterschiedlichem Kamerarhythmus der einzelnen Szenen, mit gesellschaftlichen und literarischen Anspielungen, mit Turbulenz und Tumult, mit Realität und Surrealität, mit auffälligem Soundtrack und schnell wechselnden Bildern, mit Voyeurismus und Moral – aber auch mit filmisch und thematisch nicht immer erfülltem Anspruch. Psychologisch ausgelotet wird nichts.

Am besten könnte man den Stil von Szabolcs Hajdu etwa mit dem von Peter Greenaway oder Emir Kusturica vergleichen.

Thomas Engel