Bis ans Ende der Nacht

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Nach viel zu langer Regiepause kehrt Christoph Hochhäsuler mit einem im guten wie im schlechten typischen Hochhäusler-Film ins Kino zurück. Im Wettbewerb der Berlinale hatte „Bis ans Ende der Nacht“ Weltpremiere, zurecht wurde Hauptdarstellerin Thea Ehre ausgezeichnet, die in ihrem Kinodebüt bleibenderen Eindruck hinterlässt als die oft arg verkopft dekonstruierte Krimigeschichte.

Deutschland 2023
Regie: Christoph Hochhäusler
Buch: Florian Plumeyer
Darsteller: Timocin Ziegler, Thea Ehre, Michael Sideris, Ioana Iacob, Rosa Enskat, Aenne Schwarz, Gottfried Breitfuß

Länge: 119 Minuten
Verleih: Grandfilm
Kinostart: 22. Juni 2023

FILMKRITIK:

Diese Liebe ist nicht was sie scheint: Der Undercoverpolizist Demant (Timocin Ziegler) zieht mit der gerade aus dem Gefängnis entlassenen Leni (Thea Ehre) zusammen. Ziel der Ermittlungen ist der DJ und Clubbetreiber Victor (Michael Sideris), der in den dunklen Abgründen des Internets eine Plattform zum illegalen Drogenverkauf betreibt. Zusammen mit seiner Freundin Nicole (Ioana Iacob) besucht Victor einen Salsa-Kurs und dort soll sich Leni an Victor ranpirschen, den sie noch von früher kennt.

Doch es wird noch komplizierter: Auch Demant und Leni waren einst ein Paar, allerdings bevor Leni ins Gefängnis kam und bevor Leni zur Frau wurde. Ein Spiel der Täuschungen und vertauschten Identitäten beginnt, bei dem auch die Beteiligten – vor allem Demant – bald nicht mehr wissen, welche Gefühle echt und welche nur gespielt sind.

Neun Jahre liegt Christoph Hochhäsulers brillanter „Die Lügen der Sieger“ schon zurück, ein Paranoia-Thriller, der es schaffte, gleichzeitig Hommage an die Klassiker des Genres zu sein, aber auch etwas eigenes, zeitgemäßes. Ähnliches versucht der etliche Jahre als Dozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie unterrichtende Hochhäusler nun auch in seinem neuen Kinofilm, der erste, bei dem er nicht auch das Drehbuch verfasst hat. Das stammt von Florian Plumeyer, der eine Geschichte schrieb, wie sie im Krimi, dem beliebtesten TV-Genre der Deutschen, schon unzählige Male erzählt wurde.

Was natürlich auch der Punkt ist, das Spiel mit Genremotiven, Zitaten und Verweisen war stets Teil von Hochhäuslers filmischem Ansatz, den er in „Bis ans Ende der Nacht“ allerdings auf die Spitze treibt: Vor allem an Rainer Werner Fassbinder muss man angesichts des Spiels mit Geschlechteridentitäten denken, dazu mutet Timocin Ziegler mit Lederjacke und klebrigen Haaren wie eine typische Fassbinder-Figur an. Origineller wirkt dagegen die von Thea Ehre gespielte Trans*Frau, eine gleichermaßen zeitgemäße, ja, zeitgeistige, wie klassische Femme Fatale, die bis zum überraschenden Ende geheimnisvoll und undurchschaubar bleibt.

An sich eine überzeugende Ausgangslage für einen Thriller, der gleichzeitig Melodram ist, für einen Krimi, der vor allem als Liebesfilm funktioniert. Doch so recht wollen die Elemente nicht zusammenfinden, bleiben die Verweise auf den modernen Online-Drogenhandel viel zu wage, um zu überzeugen, verliert sich die Kamera von Reinhold Vorschneider in endlos wiederholten Einstellungen durch Scheiben, in denen sich die Figuren spiegeln, bis auch wirklich der allerletzte Zuschauer verstanden hat, dass man der Oberfläche nicht trauen sollte.

Hochhäuslers Kino hatte schon immer den Hang zum verkopften, scheint oft mehr daran interessiert, auf der Diskursklaviatur zu spielen als tatsächlich eigenständiges Werk zu sein. Auch „Bis ans Ende der Nacht“ steckt voller filmhistorischer Zitate von Fassbinder über Melville bis Godard. Das Problem: Im Gegensatz zu den genannten wird hier Sinnlichkeit mehr behauptet als tatsächlich erzeugt, bleibt Hochhäusler mehr dem Hörsaal verbunden als dem Kinoraum. Vielleicht war es die jahrelange Drehpause, die Hochhäusler etwas hat einrosten lassen, die „Bis ans Ende der Nacht“ zwar zu einem intellektuell interessanten, emotional aber kalten Film werden ließ. Bald werden wir es wissen, seinen nächsten Film hat Hochhäusler schon abgedreht.

 

Michael Meyns