Black Box

Zum Vergrößern klicken

Ist Terrorismus die größte gesellschaftliche Gefahr? Oder der Klimawandel? Oder die AFD? Asli Özge gibt in ihrem allegorischen Thriller „Black Box“ eine andere Antwort: Die Angst ist es, die Gesellschaften spaltet, die Misstrauen und Zwietracht sät, die sich wie ein schleichendes, kaum sichtbares Gift breit macht.

Deutschland 2023
Regie & Buch: Asli Özge
Darsteller: Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Timur Magomedgadzhev, Anne Ratte-Polle, André Szymanski, Jonathan Berlin

Länge: 120 Minuten
Verleih: Port Au Prince
Kinostart: 10. August 2023

FILMKRITIK:

Ein typischer Berliner Hinterhof, vorne lädt ein hippes Café zum Verweilen ein, hinten wohnen Menschen aus unterschiedlichen Ländern, man kennt sich, grüßt sich, aber an sich lebt man weitestgehend anonym nebeneinander her. Dass ändert sich durch ein äußeres Ereignis: Die Polizei sperrt den Hof ab, Einsatzkräfte verhindern, dass die Mieter ihren Hof, ihre Heimat verlassen können, warum, das wird nicht gesagt, das Unwissen verstärkt noch das Gefühl der Unsicherheit.

Nur einer scheint die Lage im Griff zu haben: Johannes Horn (Felix Kramer) ein Vertreter der Managementfirma, die das Haus vor kurzem gekauft hat und den Mietern einen Glascontainer in den Hof gestellt hat, dessen durchsichtige Scheiben eine Offenheit suggerieren, die nicht eingelöst erscheint. Einen Gegner hat Horn von Anfang an, den Lehrer Erik Behr (Christian Berkel), der sich an den Mülltonnen stört, die nun genau unter seinem Fenster stehen, aber ahnt, dass das nur der Anfang ist.

Behr versucht, die Nachbarn auf seine Seite zu ziehen, zum Beispiel Henrike Koch (Luise Heyer), die an diesem Vormittag endlich ein Vorstellungsgespräch hat. Ihr Mann Daniel (Sascha Alexander Gersak) arbeitet im Home Office und hütet das Kind, in einer anderen Wohnung arbeitet die Iranerin Madonna (Manal Issa), die eine Affäre mit Ismail (Timur Mogomedgadzhiev) unterhält, einem Flüchtling aus Dagestan. Im Vorderhaus wiederum betriebt Elias (Jonathan Berlin) das Café, das vielleicht bald einer Galerie weichen soll, wie Nikol zu berichten weiß, die im Vorderhaus Pilates-Kurse anbietet.

Eine Hausgemeinschaft als Spiegel der Gesellschaft, eine Gruppe Menschen, die die Vielfalt Deutschlands spiegelt, die vor allem dann funktioniert, wenn es keine Probleme gibt. Aber wehe es hakt im System, wehe das entspannte Leben im Spätkapitalismus wird bedroht: Wer dann schnell als Schuldiger ausgemacht wird, scheint klar, etwas allzu klar. Auch Asli Özge fällt in ihrem allegorischen Drama „Black Box“ bisweilen schnell auf bekannte Muster zurück, zeigt etwa Polizisten, die wirken als wären sie einem 80er Jahre Krimi entsprungen und Vorurteile bedienen, die auch schon wieder ein filmisches Klischee sind.

Immer wenn „Black Box“ konkret wird, wenn explizit deutlich wird, dass diese Person tatsächlich schuldig oder unschuldig ist, verliert die Geschichte ihre Schärfe. Gerade wenn das Abbild der Gesellschaft aber unkonkret bleibt, wenn Özge mit Andeutungen, Vermutungen und Ambivalenzen spielt, entfaltet „Black Box“ seine allegorische Qualität. Dann wird das schleichende Gift der Angst spürbar, zeigt sich, wie aus der ungesunden Gemengelage aus Verdächtigungen und Irritationen Misstrauen erwächst, wie aus Nachbarn, die sich bislang haben sein lassen, auf einmal Gegner werden. Nicht mehr an das große Ganze wird dann gedacht, nicht mehr an die Hausgemeinschaft, sondern nur noch an sich selbst. Kein schönes, aber ein durchaus wahres Bild der deutschen Gesellschaft, wie sich in den Krisen der Vergangenheit gezeigt hat und sich wohl auch in Zukunft bestätigen dürfte.

 

Michael Meyns