Black Tea

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Einer der ungewöhnlichsten, enigmatischsten Filme des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs war Abderrahmane Sissakos „Black Tea“, nach zehn Jahren der erste Film des westafrikanischen Regisseurs. Und ein Sprung in scheinbar unbekanntestes Terrain: Nicht in Afrika, sondern in China spielt das meditative, schlafwandlerische Liebesdrama, das unterschwellig von Migration und dem Traum von einem anderen Leben erzählt.

Frankreich/Taiwan/Luxemburg/Mauretanien 2024
Regie: Abderrahmane Sissako
Buch: Abderrahmane Sissako, Kessen Fatoumata Tall
Darsteller: Nina Mélo, Chang Han, Wu Ke-Xi, Michael Chang, Yu Pei-Jen, Huang Wei, Emery Gahuranyi, Isabelle Kabano

Länge: 109 Minuten
Verleih: Pandora
Kinostart: Herbst 2024

FILMKRITIK:

Aya (Nina Mélo) eine Frau aus dem westafrikanischen Land Elfenbeinküste, steht kurz vor der Hochzeit. Doch am Altar sagt sie Nein. Später lebt sie in Guangzhou, einer jener gesichtslosen Millionenstädte in China, wo sie als Teil einer großen Gemeinde afrikanischer Migranten aus Afrika lebt, die in der Fremde ihr Glück suchen.

Aya arbeitet in einem Teegeschäft, das dem älteren Chinesen Wang (Han Chang) gehört, der zwei fast erwachsene Kinder hat. Sie teilen eine Liebe zum Tee, der Zeremonie, die seine Zubereitung zu einem intimen Ritual macht und auch das Bett. Doch Wang trägt viel Ballast mit sich herum: Vormals lebte er auf den vor der westafrikanischen Küste gelegenen Kapverdischen Inseln, wo er mit der Mutter der Kinder ein Restaurant führte, aber mit einer einheimischen Frau ein weiteres Kind hat. Ayas Traum vom Glück scheint als genau das zu erweisen: Einem Traum.

Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass Abderrahmane Sissako mit „Black Tea“ einen Film gedreht hat, der hauptsächlich in China spielt. Was verbindet einen arabischen Mann aus Mauretanien, der die meisten seiner Filme in Mali realisiert hat, mit einer chinesischen Metropole? Doch man hat es hier nicht mit einem kolonialen Blick zu tun, wie er oft entsteht, wenn etwa westliche Regisseure in einem Land des globalen Südens Filme drehen, ihre Geschichten vor einer exotischen Kulisse abspielen lassen, im Gegenteil. „Black Tea“ ist ein Film der Globalisierung, der in einer Welt spielt, in der Migration eine Realität ist, in der Menschen in der Ferne ihr Glück suchen, ein Stückchen ihrer Heimat mitnehmen, aber vor allem im Austausch der Kulturen etwas Neues entstehen kann. Ein durch und durch politischer Film ist „Black Tea“ also, der aber so schlafwandlerisch und mäandernd erzählt und gefilmt ist, dass die bei der Beschreibung schwer anmutenden Themen einfach im Hintergrund mitschwingen, während es im Vordergrund um Beziehung, um die Liebe und, ja, um Tee geht.

Der Tee verbindet China und Westafrika, doch diese Verbindung ist für Sissako nur der oberflächliche Anreiz, sich mit den zunehmenden und zunehmend komplizierten Verbindungen zwischen der aufstrebenden Supermacht China und Afrika zu beschäftigen. So wie Europa für viele Migranten aus Afrika Sehnsuchtsort ist, Projektionsfläche für viele, vor allem auch unrealistische Träume, so ist auch China mit seinem Hunger auf billige Arbeitsplätze ein Ziel der Migration.

Dass das Leben der afrikanischen Migranten in China keineswegs so bukolisch abläuft, wie es Sissako hier zeigt, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Bilder von „Black Tea“ mit Vorsicht zu genießen sind. Gerade wenn die Geschichte einen Abstecher auf die Kapverdischen Inseln macht, die Wahrnehmung der Realität zunehmend schwammig wird, ahnt man, dass es Sissako hier nicht einfach nur um eine schwelgerisch gefilmte Liebesgeschichte zwischen Tee-Afficionados geht. Anders als in früheren Filmen versteckt er die politischen Dimensionen seines Films jedoch unter einer verführerisch glatten Oberfläche, die leicht übersehen lässt, wie sehr sich „Black Tea“ mit den aktuellen Migrationsbewegungen beschäftigt. Deren Ursache liegt oft in einem verklärten Blick auf die Zielländer, die nur in der Fantasie potentieller Migranten so bukolisch wirken, wie es den Anschein hat. Der Realität können diese Vorstellungen nicht standhalten und erweisen sich schnell als eine Illusion, ähnlich dem vom Glück in China, den Aya in diesem einzigartigen Film träumt.

 

Michael Meyns