Blauer Himmel – weiße Wolken

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Der warmherzige Dokumentarfilm erzählt von Astrid, einer jungen Frau, die eine enge Bindung zu ihren Großeltern hat. Doch nach dem Tod ihres Mannes wird Oma Carmen immer tüdeliger und kann bald nicht mehr allein zu Hause wohnen. Im Pflegeheim ist sie zwar relativ gut aufgehoben, aber die Demenz schreitet unaufhaltsam fort. So kommt Astrid auf eine ganz besondere Idee: Sie möchte das Abenteuer wagen und mit der Oma auf Kanutour gehen – eine letzte gemeinsame Reise.
Das Kinodebüt von Astrid Menzel ist liebevoll und manchmal sogar ergreifend, aber auch ein gutes Beispiel für einen einfühlsamen und respektvollen Umgang mit dem Thema Demenz.

Webseite: https://barnsteiner-film.de/blauer-himmel-weisse-wolken/

Dokumentarfilm
Deutschland 2022
Regie und Buch: Astrid Menzel
Kamera: Astrid Menzel, Eike Köhler
Musik: André Feldhaus, Anders Wasserfall

Länge:91 Minuten
Verleih: Barnsteiner Film
Kinostart: 25.05.2023

FILMKRITIK:

Eigentlich wird hier eine norddeutsche Familiengeschichte erzählt: Im Mittelpunkt steht die Oma, äußerlich fit und aktiv, aber doch schon ein bisschen tüdelig. Sie pflegt ihren Mann, solange sie kann. Zu Beginn geht er am Rollator, dann braucht er einen Rollstuhl, und schließlich kann er nicht mehr aufstehen. Manchmal bekommt die Oma Hilfe von Astrid, die sich nicht so oft um die beiden kümmern kann, wie sie möchte. Der Opa, der weiß, dass er bald sterben wird, vertraut ihr irgendwann die Oma an. Aber nicht nur deshalb ist Astrid nach seinem Tod für die Oma da. Großmutter und Enkelin stehen sich nahe, sie sind oft gemeinsam verreist, zuletzt noch mit dem Opa an die Ostsee. Vielleicht ist es auch der Wunsch von beiden Seiten, gemeinsam etwas zu erleben, Erinnerungen zu schaffen. Doch mit Omas Gedächtnis ist nicht mehr viel los. Sie kann sich immer schlechter konzentrieren und ist häufig verwirrt. Es kommt, wie es kommen muss: Die Oma muss ins Pflegeheim. Dort ist sie zwar versorgt, aber ihr mentaler Zustand verschlechtert sich zusehends. Astrid kann sie nur selten besuchen, doch sie beobachtet mit Sorge, dass ihre geliebte Oma immer weiter abbaut. Sie hat eine Idee: eine letzte gemeinsame Reise, eine Kanutour. Das große Familienkanu, das vor vielen Jahren angeschafft wurde, soll auf dem Wasserweg von Lilienthal bei Bremen bis kurz vor Kiel gebracht werden. Und so starten Astrid, ihr Bruder Hendric und die Oma in ein Abenteuer, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart immer wieder verbinden, bis am Ende etwas Neues, ganz anderes entsteht.

Der Erzählbogen spannt sich insgesamt über drei Jahre, und Astrid Menzel lässt sich sehr viel Zeit für ihre Vorgeschichte. Doch das ist vielleicht notwendig, um die familiären Bindungen zu verstehen, die sie mit wachsender Souveränität dokumentiert. Dabei verzichtet sie komplett auf Interviewsituationen, die Bilderfolge ist nur zu Beginn ein wenig holprig. Astrid Menzel findet im Verlauf des Films zu einer immer stärkeren Souveränität, was die Abfolge der Szenen betrifft. Sie kommentiert ihren Film selbst, manchmal mit staubtrockenem Humor, manchmal mit einer auffälligen Sachlichkeit, die vermutlich nicht nur ihrer norddeutschen Herkunft geschuldet ist, sondern auch der Tatsache, dass sie manchmal emotional so angegriffen ist, dass sie sich in die Neutralität rettet. Wenn sie über die Situation reflektiert oder nach Erklärungen sucht, zeigt sie gern Naturaufnahmen – den nächtlichen Himmel, Blätter im Wind, die Innenräume des Hauses der Großeltern, das leere Schwimmbad. Das ist dann oft ein wenig rührend, und der gesamte Film hat etwas sehr Bewegendes, sehr Liebevolles. Das gilt für Astrids Beziehung zu den Großeltern ebenso wie für die spätere – eigentlich ganz andere – Bindung zur Oma. Wie sich die Enkelin angesichts der Demenz zunächst gar nicht zu verhalten weiß und doch immer den richtigen Ton trifft, verrät viel über das vertrauensvolle Verhältnis zwischen den beiden. Die fortschreitende Demenz führt schließlich auf der Kanufahrt zu einer Krise: Die Oma kommt mit den häufigen Ortswechseln nicht zurecht, sie wird unleidlich und ungeduldig, schläft kaum und will schließlich zu Fuß nach Hause laufen – wohlgemerkt: ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, wo sie sich befindet und wo sie wohnt. Die kleinen und großen Katastrophen sind hier also ebenso ein Thema wie die Augenblicke der Freude und der Hoffnung, wobei es Astrid Menzel gelingt, stets den Respekt gegenüber ihren Protagonisten zu wahren.

Generell spricht Astrid scheinbar ganz nebenbei und mit sehr viel Offenheit viele Themen an, die häufig tabu-belastet sind: Krankheit, Tod, Demenz, Pflege ... wie sie selbst damit umgeht, ist keineswegs vorbildlich oder beispielhaft. Es ist ein oft schmerzlicher Lernprozess, in dem sie – auch manchmal gemeinsam mit ihrer Mutter – versucht, mit der Situation zurechtzukommen. Das erinnert in gewisser Weise an David Sievekings „Vergiss mein nicht“ (2012), der als autobiografischer Filmemacher einen extrem anrührenden und abgesehen davon auch sehr humorvollen Dokumentarfilm über die letzten Jahre seiner demenzerkrankten Mutter drehte. Astrid Menzels Film hat einiges davon. Sie arbeitet ebenfalls mit viel Foto- und Filmmaterial aus der Vergangenheit, das sie in die Handlung einfügt, doch sie entwickelt dabei ihren eigenen, realistischen Stil – ihre Bilder wirken spontan, beinahe zufällig, und da ist auch eine sehr sympathische, ganz unironische Distanz, mit der sie sich in all ihren Zweifeln und Sorgen selbst darstellt. Die Hauptrolle jedoch spielt die Oma, eine würdevolle alte Dame, die liebenswert bleibt, auch wenn sich ihr Bewusstsein immer mehr eintrübt.

 

Gaby Sikorski