Blind & Hässlich

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Liebe macht blind – so die bekannte Floskel. In Tom Lass‘ leichtfüßiger, von schrulligen Charakteren bevölkerten Liebeskomödie „Blind & Hässlich“, verhält es sich genau anders herum: Liebe macht sehend. Die beiden Liebenden im Film sind der von Selbsthass zerfressene Ferdi, der sich abgrundtief hässlich findet und die blinde Jona. Das Problem: Jona kann in Wahrheit sehen, wovon Ferdi keine Ahnung hat. Der Film profitiert von seinen glaubwürdig und gefühlvoll agierenden Hauptdarstellern. Und: von der Unmittelbarkeit und Direktheit der Inszenierung, erzielt durch Handkamera und Improvisation.

Webseite: www.darlingberlin.de

Deutschland 2017
Regie: Tom Lass
Drehbuch: Ilinca Florian, Tom Lass
Darsteller: Naomi Achternbusch, Tom Lass, Clara Schramm, Dimitri Stapfer, Peter Marty, Eva Löbau
Länge: 100 Minuten
Verleih: Daredo Media
Kinostart: 21. September 2017

FILMKRITIK:

Ferdi (Tom Lass) ist hässlich. Denkt er zumindest. Der psychisch labile Mann verfügt nicht gerade über großes Selbstbewusstsein. Jeder Blick in den Spiegel deprimiert ihn, da kann ihm fürs Erste auch seine Therapeutin nicht helfen. Es scheint aufwärts zu gehen, als die sympathische Jona (Naomi Achternbusch) Interesse an ihm zeigt. Mit ihr erhofft er sich eine Beziehung. Und die Chancen stehen nicht schlecht – denn die junge Frau ist blind und damit nicht in der Lage, seine Hässlichkeit wahrzunehmen. Wovon Ferdi aber keine Ahnung hat: Jona gibt nur vor blind zu sein, um günstig in einer Blinden-WG wohnen zu können. Als sich die Zwei verlieben, kommt in Jona allmählich das schlechte Gewissen auf.

Regisseur und Hauptdarsteller Tom Lass steht bereits seit seinem 15. Lebensjahr vor der Kamera. Seine erste Filmrolle hatte der heute 33-jährige Münchener in der Komödie „Harte Jungs“. Es folgten bis heute weitere Auftritte in Kino und TV, darunter in „Die Kommissarin“, „Tatort“ oder auch „Die Rosenheim-Cops“. Mit dem Drehen eigener Filme begann er 2005. Sein für 2500 Euro realisiertes Debüt „Papa Gold“ wurde gleich für den Max-Ophüls-Preis nominiert. „Blind & Hässlich, den Lass mit befreundeten und blinden Darstellern besetzte, erlebte seine Premiere auf dem diesjährigen Filmfest München.

Die reizende, lebensbejahende Indie-Komödie lebt von der entwaffnenden Improvisations-kunst seiner tollen Darsteller und den vielen kauzigen Personen, die sie bevölkern. Das beginnt gleich bei der Hauptfigur: dem gehemmten Ferdi, der sich doch nichts mehr wünscht als eine Freundin. Tom Lass verleiht seiner Figur enorm viel Melancholie und Schwermut. Dies wird auch anhand von Gestik und Mimik deutlich, etwa durch Ferdis herunterbaumelnde Schultern oder den Hundeblick. Und: durch seine Unsicherheit in der Beziehung zu anderen Menschen. Seinem unbeholfenen Umgang mit ihnen, wohnt aber immer auch etwas unfreiwillig Komisches innen.

Tragik und Komik gehen gerade in den ersten Minuten eine gelungene Verbindung ein. Darin versucht Ferdi krampfhaft, Frauen kennen zu lernen. Nur leider verhält er sich bei seinen Flirtversuchen genau so: verkrampft, steif und unsicher. Ganz zur Freude des Zuschauers. Neben Tom Lass überzeugt auch Naomi Achternbusch in der Rolle der lebenslustigen und oft ein wenig verträumten Jona, die beim Vorspielen falscher Tatsachen so allerlei Kreativität und Einfallsreichtum unter Beweis stellt.

Einfallsreichtum legt auch Regisseur und Hauptdarsteller Lass in einigen herrlich absurden Szenen an den Tag. In jenen kommt der schräge, aber jederzeit liebenswerte Humor des Films besonders gut zum Vorschein. Ein gutes Beispiel: die Kennenlern-Sequenz, wenn Jona und Ferdi das erste Mal aufeinander treffen.  Wann erlebt man es schon mal, dass eine blinde Frau (die noch dazu nur vorgibt, blind zu sein) einen jungen Mann davon abhält, von einer Brücke zu springen.

Ferdi und Jona sind aber nicht die einzigen schrulligen Figuren in „Blind & Hässlich“: da gibt es u.a. noch Ferdis sonderbare WG-Mitbewohner, einen hypersensiblen Hausmeister im Blindenwohnheim sowie Ferdis hitzigen Kumpel aus alten Zeiten, der das Einfühlungsvermögen eines Presslufthammers hat.

Insgesamt inszeniert Lass seinen Film leichtfüßig und mit Liebe zum Wahrhaftigen und Ungekünstelten. Das zeigt sich u.a. daran, dass er die Darsteller (allen voran sich selbst und Achernbusch) in den gemeinsamen Szenen immer wieder improvisieren lässt. Und am Einsatz der Handkamera. Durch sie wird eine große Nähe zu den Figuren erzielt und der Zuschauer mitten ins Geschehen manövriert.

Björn Schneider