Blix not Bombs

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Nach den Terroranschlägen von 2001 schickte die UN Waffeninspekteure in den Irak, um zu untersuchen, ob Diktator Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügt. Die Experten fanden keine Beweise, dennoch griffen die USA den Irak an. Welche Folgen 9/11 und der Dritte Golfkrieg auf unsere heutige Zeit und die gegenwärtige Politik haben, untersucht die eigenwillige, hintergründige Doku „Blix not Bombs“. Sie konfrontiert den damaligen Chef der Kommission, den Schweden Hans Blix, mit unangenehmen Wahrheiten. Und wirft die Frage auf, ob Verhandlungen und Diplomatie im Jahre 2023 überhaupt noch zu etwas führen.

Deutschland, Schweden, Tschechien 2023
Regie: Greta Stocklassa
Buch: Greta Stocklassa

Länge: 83 Minuten
Verleih: Cine Global
Kinostart: 18. Mai 2023

FILMKRITIK:

Filmemacherin Greta Stocklassa war ein Kind, als sie am 11. September 2001 die verheerenden Selbstmordattentate auf die USA mitbekam. In den Monaten und Jahren danach verfolgte sie in den Medien eine sich immer weiter zuspitzende weltpolitische Lage – die in der US-amerikanischen Invasion im Irak mündete. Eine Schlüsselrolle bei den Ereignissen nach den Anschlägen von 2001 nahm Stocklassas Landsmann ein: der Politiker und Diplomat Hans Blix, der die UN-Kommission zur Waffen-Inspektion führte. 20 Jahre nach dem Irakkrieg besucht Stocklassa den inzwischen 94-jährigen Blix und lässt die Ereignisse von damals Revue passieren. Sie diskutiert mit Blix, stellt Fragen und bezieht gegenwärtige politische Entwicklungen mit ein.

„Warum scheitern wir bei dem Versuch, in Frieden zu leben?“, fragt Stocklassa, die heute 30-jährige Dokufilmerin, zu Beginn von „Blix not Bombs“. Private Aufnahmen aus dem Familienarchiv zeigen Stocklassa kurz darauf in unbeschwerten Momenten als Kind. Bevor die Welt mit den Terroranschlägen eine andere wird. Zu sehen sind Videoaufnahmen von der achtjährigen Stocklassa vor dem TV, in dem gerade die Szenen der einstürzenden Twin Towers gezeigt werden. Die Tragweite jener Ereignisse kann Stocklassa natürlich noch nicht begreifen.

Doch von diesem Schicksalstag 11/9 ausgehend arbeitet sie in den folgenden 80 Minuten die Geschehnisse bis zum Krieg Anfang 2003 akribisch und detailliert auf. Von der Gründung der UN-Waffeninspektionskommission über die Rolle des UN-Sicherheitsrates sowie die hitzig geführten Debatten zwischen den kriegskritischen Staaten und Befürwortern innerhalb der Weltengemeinschaft. Bis hin zur immer aggressiver werdenden, die Wahrheiten missachtenden US-Außen- und Kriegspolitik, die schließlich – ohne UN-Mandat – den völkerrechtswidrigen Befehl zum Angriff gab. Und schließlich die weltweiten Demos der Kriegsgegner und Friedensaktivisten in der Folge.

Auch wenn man den Verlauf der Geschichte kennt: Durch geschickte Montage und einen Countdown bis zum Tag des Angriffs verfügt „Blix not Bombs“ fast über die Dramaturgie eines (Polit-)Thrillers und findet in den ausführlichen Interviewpassagen mit Blix dennoch immer wieder zur Ruhe, Reflexion und kritischen Betrachtung. Solche Fragen, kritische und differenzierte, stellt Stocklassa auch Blix. Hätten die Waffeninspekteure und Blix selbst mehr tun können? Wurde wirklich alles unternommen, um diesen Krieg zu verhindern? Und ist unsere heutige Welt mit all ihren Krisen (das Erstarken der politischen Rechten, die teilweise Radikalisierung des Islam, Klima- und Umweltkrisen) ein Produkt der Fehler von damals?

Die Tatsache, dass Stocklassa unverblümt und sehr direkt fragt, erweist sich als Glückgriff. Mit ihren Fragen treibt sie den bis kurz vor Schluss stets auskunftsfreudigen Blix, der Einblicke in den Alltag mit seiner Frau gewährt und seine privaten Tagebücher öffnet, immer weiter in die Enge. Das Ende kommt unerwartet. Für Stocklassa wie für den Zuschauer.

Die Fülle an Originalbildern jener Tage und Archivmaterial, die „Blix not Bombs“ präsentiert, ist zudem beachtlich. Sie rufen die amerikanischen Ausreden und scheinheiligen politischen Begründungen für die Invasion in Erinnerungen. Inklusiver aller Akteure, die damals zentrale Rollen spielten: von Bush, Rumsfeld, Cheney, Wolfowitz und Powell auf Seiten der USA bis hin zu Blix, Annan oder el-Baradei auf Seiten der Vereinten Nationen.

Ganz am Ende knüpft der Film Parallelen zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine und zeigt glaubhaft auf: Die Rechtfertigungen der US-Politiker und der Verweis auf eine – angeblich – notwendige Entwaffnung und Demilitarisierung unterscheiden sich nicht von Putins weltfremden Äußerungen und erfundenen, verblendeten Kriegsbegründungen.

 

Björn Schneider