Borga

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Mit gleich vier Auszeichnungen war York-Fabian Raabes Drama „Borga“ der große Gewinner des diesjährigen Max Ophüls-Festivals. Und man versteht den Preisregen, ist Raabe doch ein bemerkenswertes Debüt gelungen, das weit über den eigenen Tellerrand hinausblickt und das große Thema Migration auf vielschichtige, ambivalente Weise behandelt.

Website: www.borga-themovie.com

Deutschland 2020
Regie: York-Fabian Raabe
Buch: Toks Körner & York-Fabian Raabe
Darsteller: Eugene Boateng, Jude Arnold Kurankyi, Christiane Paul, Adjetey Anang,
Länge: 109 Minuten
Verleih: Across Nations; Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 28.10.2021

FILMKRITIK:

In Sodom beginnt „Borga“, in Accra, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Accra, wo am Strand, im berüchtigten Viertel Agbogbloshie auf einer riesigen Deponie Elektronikschrott aus Europa verarbeitet wird. Hier wachsen Kojo (Eugene Boateng) und Kofi (Jude Arnold Kurankyi) auf, zwei Brüder, die unterschiedliche Wege gehen werden. Beide wollen sich aus der Armut befreien, der eine bleibt zu Hause, den anderen zieht es nach Europa, zum gelobten Kontinent, wo die Straßen mit Gold gepflastert sind. So heißt es zumindest in den Erzählungen der so genannten Borgas, lautmalerisch abgeleitet von Hamburgern>Hamborgern>Borgas - Menschen, meist Männern, die es nach Europa geschafft haben und zu so viel Geld gebracht haben, dass sie ihre in der Heimat zurückgelassenen Familien versorgen können.

Doch der Wohlstand ist oft nur vorgetäuscht, Fotos vor Autos und Häusern gefälscht, um die harsche Realität zu verbergen. So ergeht es auch Kojo, den es nach Mannheim verschlägt, wo er Bekannte, entfernte Verwandte kennt. Bald ist er ein gemachter Mann, relativ. Regelmäßig fährt er in die Heimat, schluckt Drogenpäckchen, die er in Deutschland mühselig wieder ausspeit. Seinen Neffen beeindruckt sein Wohlstand, die Möglichkeit sich mit den neuesten Sneakern zu versorgen und zu prassen, seinen Bruder weniger. Ein Leben voller Täuschungen führt Kojo, der in Mannheim die Notfallsanitäterin Lina (Christina Paul) kennengelernt hat, ihr jedoch seine wahre Identität verschweigt. Unweigerlich kommen die Lügen jedoch an die Oberfläche und drohen alles zu zerstören, was Kojo am Herzen liegt.

Zwei Kurzfilme drehte York-Fabian Raabe vor seinem Debüt schon in Ghana, auf eigene Faust, denn der Quereinsteiger durchlief nicht die üblichen Bahnen des deutschen Filmsystems. Vielleicht agiert er deswegen so unbeschwert, erzählt in seinem Debütfilm nicht eine der typischen deutschen Geschichten, sondern wirft einen ungewöhnlichen Blick auf einen Aspekt der deutschen Realität, der meist von Vorurteilen geprägt ist.

Und das nicht nur von einer Seite: Verdammt die eine Seite Migranten oft als Kriminelle und Vergewaltiger, verklärt die andere Seite sie oft als durch und durch gute, fast schon naive Wesen. Die Wahrheit liegt meist irgendwo zwischen diesen Extremen und wird von „Borga“ ausgeleuchtet. Mit guten Absichten kommt Kojo nach Deutschland, verführt von den Geschichten seiner Vorgänger. Dass die Realität anders aussieht erkennt er schnell und lässt sich von der Chance auf schnelles Geld täuschen. Dennoch ist er kein schlechter Mensch, vielmehr getrieben von den Umständen, seiner Rolle in einer globalisierten Welt.

Die Ambivalenz, mit der York-Fabian Raabe seine Hauptfigur zeichnet, macht ihn und seinen Film angreifbar für Kritik von beiden Seiten. Doch genau der Mut zu diesem differenzierten Blick auf ein allgegenwärtiges Thema ist die größte Qualität von „Borga“, der anderen eine Stimme gibt und zwar eine vielstimmige.

Michael Meyns