Wer den Roadmovie-Klassiker „Easy Rider“ gesehen hat, reißt schon mal, besonders zu fortgeschrittener Stunde, reflexhaft die Arme hoch und dreht an einem unsichtbaren Motorrad-Gasgriff, sobald die ersten Klänge eines ganz bestimmten Songs zu hören sind: „Born to be Wild“ von Steppenwolf wurde zur Hymne einer ganzen Generation.
Oliver Schwehms Rockumentary „Born to be Wild – Eine Band namens Steppenwolf“ erzählt sehr unterhaltsam und informativ die Geschichte dieser Band, die fast 50 Jahre nach ihrem letzten Album immer noch die Ohren – und die Herzen – der Rock-Gemeinde erreicht.
Webseite: https://www.mfa-film.de/kino/id/born-to-be-wild-eine-band-namens-steppenwolf/
Deutschland/Kanada 2024
Drehbuch und Regie: Oliver Schwehm
Darsteller: John Kay, Shawn Kay, Alice Cooper, Nick St. Nicholas, Mars Bonfire, Michael Monarch, Klaus Meine, Jello Biafra
Kamera: Gabi Kislat
Musik: Benoit Charest
Länge: 100 Minuten
Verleih: MFA+ FilmDistribution
Start: 04.07.2024
FILMKRITIK:
Oliver Schwehms liebevoll gestaltete Band-Geschichte orientiert sich am Steppenwolf-Frontmann John Kay. Dieser Mann mit der unverkennbaren Reibeisenstimme wurde – Achtung: Überraschung! – im Jahr 1944 als Joachim-Fritz Krauledat im ostpreußischen Tilsit geboren. Der Fluchtweg der Familie Krauledat führte über Thüringen und Hannover nach Toronto in Kanada. Dort wurde aus Joachim Krauledat John Kay, der bald seine Liebe zum Rock’n Roll entdeckte und mit einer von seinem Stiefvater gebastelten Gitarren-Attrappe aus Sperrholz die Posen einzuüben begann, die er später mit „Steppenwolf“ perfektionieren sollte: Charisma ist trainierbar! In Toronto schloss sich John Kay der Band „The Sparrow“ an, wo er den späteren Bassisten von Steppenwolf, Nick St. Nicholas, kennenlernte. Nick heißt eigentlich – die Zufälle nehmen kein Ende – Klaus Karl Kassbaum und stammt aus Schleswig-Holstein. Der Weg der beiden führte von Kanada nach Kalifornien, wo dann 1968 der Spatz „The Sparrow“ zum „Steppenwolf“ wurde. Und als Dennis Hopper und Peter Fonda für einen Low-Budget-Indie-Film namens „Easy Rider“ zwei Steppenwolf-Songs („Born to be Wild“ und „The Pusher“) auswählten, ging die Band durch die Decke. Der Rest ist Rock-Geschichte.
Die Band-Geschichte hingegen dauerte eigentlich nur bis 1976 und bis zum letzten Steppenwolf-Album, dem Meisterwerk „Skullduggery“. Ego-Trips, Drogen, Machtkämpfe – die Steppenwolf-Story war hinter der Bühne genauso flamboyant und abenteuerlich wie „on stage“. Davon sprechen John Kay, seine Tochter Shawn und Nick St. Nicholas und sie nehmen kein Blatt vor den Mund. Zeitzeugen und Weggefährten – allen voran Alice Cooper – kommen ebenfalls zu Wort. Zusätzlich hat Oliver Schwehm mit der Spürnase des erfahrenen Rechercheurs Super-8-Filmschnipsel aus dem Privatbesitz verschiedener Band-Mitglieder aufgetrieben. Diese intimen, offenbar unbeobachtet entstandenen Bilder kontrastieren eindrucksvoll mit den professionellen Konzertaufnahmen und vermitteln durchaus authentisch das Lebensgefühl einer Zeit, in der Steppenwolf einer der Top Acts des Rock-Business war.
Wie es dazu kam, ist auch musikalisch gesehen einigermaßen bemerkenswert, denn Steppenwolf entzog sich – zumindest in der Anfangsphase der Band – jeder Kategorisierung. Sie waren laut, sie waren wild, und sie waren frech. Die Musiker um John Kay und Nick St. Nicholas wurden die „Bad Boys“ des Rock-Business. Eltern warnten ihre Kinder vor dieser „gefährlichen Band“, und an dieser Gefährlichkeit hatten John Kays verblüffend direkte, ehrlich-kritische Songtexte einen großen Anteil. Doch die väterlichen und mütterlichen Warnungen bis hin zum Verbot des Konzertbesuchs trugen letztlich nur noch mehr zum Erfolg der Band bei. Steppenwolf wurde zur Rocklegende.
Doch in dieser äußerst unterhaltsamen Doku geht es glücklicherweise nicht um das weihevolle Abfeiern einer stilbildenden Hard Rock-Band. Das verhindern schon die erfrischend distanzierten und selbstironischen Statements von John Kay und Nick St. Nicholas. Für beide ist die Zeit nicht stehengeblieben, für beide hat es – trotz aller auch vor Gericht ausgetragenen Querelen – ein Leben nach Steppenwolf gegeben.
Und John Kay hat sich mittlerweile auch von seiner Mikrofonständer-Akrobatik verabschiedet. Am Ende des Films sehen wir ihn, wie er – sich selbst auf der akustischen Gitarre begleitend – „Am Brunnen vor dem Tore“ singt und sein Publikum zu Tränen rührt. Hier schließt sich der Lebenskreis eines großen Künstlers: von ganz laut zu ganz leise, aber immer mit maximaler Emotion.
Gaby Sikorski