Buñuel: Filmemacher des Surrealismus

Zum Vergrößern klicken

Ohne besonderen Anlass, weder zum Jahres- noch Todestag von Luis Buñuel erscheint Javier Espadas Dokumentarfilm „Buñuel: Filmemacher des Surrealismus“, aber den braucht es ja auch nicht, um sich einmal mehr, vielleicht auch zum ersten Mal mit einem der interessantesten und ungewöhnlichsten Regisseure des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen.

Buñuel: Filmemacher des Surrealismus (Buñuel, un cineasta surrealista )
Spanien 2021
Regie & Buch: Javier Espada
Dokumentarfilm

Länge: 83 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 10. Oktober 2024

FILMKRITIK:

Das Interesse für Luis Buñuel wurde Javier Espada quasi in die Wiege gelegt: Das Geburtshaus Espadas liegt nur ein paar Häuser von dem entfernt, in dem genau im Jahre 1900, in dem kleinen spanischen Städtchen Colanda, auch Luis Buñuel geboren wurde. In mehreren Dokumentarfilmen hat sich Javier Espada in den letzten Jahren schon mit Leben und Werk von Bunuel beschäftigt, hat Ausstellungen und Konferenzen über den Künstler und Filmemacher organisiert und entdeckt doch immer wieder neues in einem Werk, das lang und reich an herausragenden Werken wie nur wenige andere in der Filmgeschichte war.
Wie der Titel „Buñuel: Filmemacher des Surrealismus“ schon andeuten, konzentriert sich Espada hier im Besonderen auf den Aspekt des Surrealismus im Werk von Buñuel, der sich bis auf wenige Ausnahmen, in fast jedem der zwischen 1946 und 1977 entstandenen Spielfilme zeigt, eine Phase enormen Schaffensdrang, in der Buñuel rund einen Film pro Jahr realisierte.
Seine ersten beiden Filme waren jedoch kurze Arbeiten, die zum Ende der Stummfilmzeit in Zusammenarbeit mit dem damals schon weltberühmten Salvador Dali entstanden: „Der andalusische Hund“ und „Das Goldene Zeitalter“ schockierten das Publikum damals, aber auch oft noch heute, mit legendären Montagen wie dem Schnitt mit einer Rasierklinge durch ein Auge, das sich plötzlich in eine schmale Wolke verwandelt, die vor dem Mond steht.
30 Jahre war Buñuel damals alt, war auf einer Jesuitenschule mit dem erzkonservativen Katholizismus seiner Heimat konfrontiert worden, war dann nach Paris gezogen, die in den 20er Jahren vermutlich aufregendste und kulturell vielseitigste Stadt der Welt (man denke an die wunderbare Hommage, mit der Woody Allen in „Midnight in Paris“ der Stadt und dieser Ära gehuldigt hat) und dort Teil der französischen Surrealisten um André Breton geworden.
Die ersten Langfilme „Die Vergessenen“ oder „Er“ wie entstanden dann ab Mitte der 40er Jahre in Mexiko, bevor Buñuel zum Ende seiner Filmkarriere in Frankreich fast schon kommerzielle Klassiker wie „Belle de Jour“ oder „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ realisierte. Was Buñuel neben vielem anderen bemerkenswertem zu einem der ganz wenigen Regisseure macht, die in zwei unterschiedlichen Sprachen Meisterwerke gedreht haben.
Anhand gut gewählter Ausschnitte zeichnet Javier Espada nun die filmische Entwicklung von Luis Buñuel nach, zeigt auf, wie sich der Einsatz surrealistischer Momente im Laufe der Jahrzehnte verändert und verfeinert hat.
Ein Aspekt ist es jedoch der diesen Dokumentarfilm über eine absolut sehenswerte Einführung in das Werk Buñuels hinaus sehenswert macht: Espada hat im Laufe der Jahre große Mengen an Fotografien aus dem Leben Buñuels zusammengetragen, darunter auch faszinierende stereoskopische Bilder, also Doppelbilder, die durch das Betrachten durch eine spezielle Apparatur einen dreidimensionalen Effekt suggerieren. Diese Bilder hat er nun kolorieren lassen, eine Technik, die inzwischen so gut und günstig geworden ist, dass es immer einfacher wird, schwarz-weiße Bilder aus den Anfängen der Photographie, den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf sehr überzeugende Weise wie moderne Photos erscheinen zu lassen. Der Effekt ist spektakulär und zeigt den auf frühen Photos bislang nur in schwarz-weiß bekannten Buñuel auf bemerkenswert frische Weise. Ein Grund mehr, sich zum wiederholten oder zum ersten Mal mit einem der spannendsten Regisseure der Filmgeschichte zu beschäftigen. Ganz einfach ist es zwar nicht, die Filme von Luis Buñuel zu sehen (Netflix etwa ist hier keine Hilfe), aber nach diesem Dokumentarfilm sollte jeder am Kino interessierte diese Mühe auf sich nehmen.

Michael Meyns