Cahier Africain

Zum Vergrößern klicken

Eine der besonderen Qualitäten der Dokumentarfilme von Heidi Specogna - in Deutschland zuletzt mit „Das Schiff des Torjägers“ im Kino - ist die Zeit, die sich die Regisseurin für ihre Themen lässt, nicht mit heißer Nadel gestrickt, auf schnelle und dadurch oft oberflächliche Auswertung getrimmt. Auch Specognas „Cahier Africain“ ist ein vielschichtiger Film, der die in der Zentralafrikanischen Republik verübten Kriegsgräuel und ihre Folgen von unterschiedlichen Seiten beleuchtet.

Webseite: www.dejavu-film.de

Schweiz/ Deutschland 2016 - Dokumentation
Regie & Buch: Heidi Specogna
Länge: 113 Minuten
Verleih: déjà-vu Film
Kinostart: 3. November 2016
 

FILMKRITIK:

Beschäftigte sich die aus der Schweiz stammende Regisseurin Heidi Specogna zu Beginn ihrer Filmkarriere noch mit Lateinamerika (Filme wie „Tania La Guerrillera“, „Tupamaros“ oder „ Das kurze Leben des Jose Antonio Gutierrez“ liefen auch in Deutschland im Kino), wechselte sie Ende der Nuller Jahre quasi den Kontinent und beschäftigt sich seitdem mit Afrika. Themen für Dokumentarfilme gibt es hier (leider) mehr als genug, „Das Schiff des Torjägers“ beschäftigte sich mit Flüchtlingen und Schleppern, „Cahier Africain“ ist nun in doppelter Hinsicht ein afrikanisches Notizheft.

Im wahrsten Sinne des Wortes steht ein Notizheft im Mittelpunkt der Dokumentation, ein Heft, in dem die zahllosen Verbrechen und Vergewaltigungen aufgelistet wurden, die von Soldaten des benachbarten Kongos in der Zentralafrikanischen Republik verübt wurden. Dieses Heft, von einer Menschenrechtsaktivistin in langjährigen, aus offensichtlichen Gründen auch gefährlicher Arbeit angelegt, diente als entscheidendes Beweismittel in einem Prozess, der vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag statt fand und erst vor wenigen Monaten zu Ende ging. Dabei wurde Jean-Pierre Bemba, ein kongolesischer Geschäftsmann, dessen Privatarmee gegen die Regierung kämpfte und auch in den Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik involviert war, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Anstiftung zu Mord und Vergewaltigung verurteilt.

Ein wenig späte Gerechtigkeit bedeutete dieses Urteil für die Frauen der Zentralafrikanischen Republik, die Specogna in ihrem Film in den Mittelpunkt stellt. Ausführlich lässt sie etwa Amzine zu Wort kommen, die als Folge der Vergewaltigungen ein Kind zur Welt gebracht hat, dass zwar einerseits geliebte Tochter ist, sie aber auch täglich an das erfahrene Leid erinnert. Über Jahre hinweg besuchte Specogna das Land, führte Gespräche, recherchierte, vor allem aber beobachtete sie scharf. Nicht nur eine Momentaufnahme ist „Cahier Africain“ dadurch geworden, sondern eine fast schon elegische Dokumentation, in der die langfristigen Folgen der erlittenen Verbrechen deutlich werden.

Aber auch die Muster eines Staates, der immer wieder durch neue Bürgerkriege, neue Staatsstreiche, wechselnde Despoten ergriffen wird, die eine Stabilisierung der Lebensverhältnisse, ganz zu schweigen von einer Demokratisierung schwierig machen. Geradezu klassische, beileibe nicht nur afrikanische Muster zeichnet Specogna da etwa nach, wenn sie eine Anwältin porträtiert, die sich anfangs noch vehement für die Rechte der Opfer einsetzt, sich als ihr Sprachrohr versteht, nur um dann bald einen fraglos gut bezahlten Posten in hoher Position anzunehmen - und fortan für die Opfer unerreichbar zu sein. Das Eigeninteresse siegt auch hier über die Moral, eine Binsenweisheit, die Specogna nicht zu einer moralisierenden Tirade nutzt, sondern ganz beiläufig in den Fluss ihrer Jahrelangen Beobachtung einfließen lässt. Gerade diese Ausdauer, die intensive, genaue Beschäftigung mit ihrem Thema, mit dem Land und seinen Menschen, macht „Cahier Africain“ zu solch einer herausragenden Dokumentation.
 
Michael Meyns