Camille – verliebt nochmal!

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Als Nebendarstellerin war Noémie Lvovsky zwar schon in den deutschen Kinos präsent, zuletzt 2012 in „Leb wohl meine Königin!“. Aber erst mit ihrem fünften Film wird sie hierzulande in ihrem Hauptberuf entdeckt, nämlich als Regisseurin. Das wurde auch Zeit, denn Noémie Lvovsky liefert mit „Camille“ einen der wunderbarsten französischen Spielfilme der letzten Zeit ab. Man darf sich nicht von dem deutschen Verleihtitel täuschen lassen – dieser Film ist weit mehr als eine harmlose romantische Komödie um die große Liebe und die 80er-Jahre.

Webseite: www.movienetfilm.de

Originaltitel: Camilles Redouble
Frankreich 2012
Regie: Noémie Lvovsky
Buch: Noémie Lvovsky, Maud Ameline, Pierre-Olivier Mattei, Florence Seyvos
Darsteller: Noémie Lvovsky, Samir Guesmi, Judith Chemla, India Hair, Julia Faure, Yolande Moreau
Verleih: Movienetfilm
Kinostart: 15. August 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Schauspielerin Camille (Noémie Lvovsky) hat schon bessere Tage gesehen. Für einen neuen Horrorfilm muss sie die Leiche spielen und sich von einem Verrrückten meucheln lassen. Auch ihr Privatleben ist ein Scherbenhaufen: Nach 25 Jahren Ehe hat ihr Mann Eric (Samir Guesmi) sie verlassen und will die gemeinsame Wohnung verkaufen. Bei der Silvesterparty mit alten Freundinnen will Camille ihren Frust vergessen und feiert, was das Zeug hält. Am nächsten Morgen erwacht sie mit einem dicken Schädel – und im Jahr 1985! Camille ist noch einmal 16 Jahre alt und wird von ihren Eltern aus dem Krankenhaus abgeholt. Sie geht wieder in die Schule, trifft ihre Klassenkameradinnen wieder – und auch Eric, in den sie sich prompt erneut verliebt.

Wer denkt bei den Stichworten 80er-Jahre und Zeitreise nicht gleich an Robert Zemeckis‘ Kult-Trilogie „Zurück in die Zukunft“? Michael J. Fox alias Marty McFly musste hier in die Vergangenheit reisen, um die Liebe seiner Eltern und einige andere Dinge zu kitten. Inzwischen hat sich aus der Mischung von Zeitreise- und Liebesfilm ein ganzes Untergenre gebildet. Mit Titeln wie „Kate & Leopold“ oder „Das Haus am See“ hat „Camille“ aber glücklicherweise nichts zu tun. Im Gegenteil: Noémie Lvovsky ist weder an der Mechanik der Komplikationen interessiert, die eine Zeitreise auslöst, noch sieht sie in ihr eine Möglichkeit, durch Manipulation der Vergangenheit eine große Liebe zu retten. Sie ist auf der Suche nach einer inneren Wahrheit, die so gar nicht in das Schema einer romantischen Liebeskomödie passen will.

Das geht schon mit dem genau beobachteten Prolog los, der in der Gegenwart spielt und Camilles Figur fest in einer ohne Pastelltöne gezeichneten Realität verankert. Dieser Ton setzt sich fort, wenn die Geschichte ins Jahr 1985 wechselt. Die agile Handkamera lässt die Zeit des Walkman und der farbenfreudigen Klamotten, von Nenas „99 Luftballons“ und fragwürdigen Frisuren wieder auferstehen. Camille und Eric werden auch hier von den beiden erwachsenen Hauptdarstellern gespielt, ohne dass sie dabei jemals lächerlich wirken würden. Lvovsky unterstreicht, dass Menschen sich im Lauf ihres Lebens ändern mögen, dass aber doch der Kern einer Person in der Jugend bereits geformt ist. Auch kann Camille trotz aller Versuche die Vergangenheit nicht ändern und ihrer Gegenwart nicht entkommen. Und so muss Camille hilflos ihr Leben ein weiteres Mal leben. Dabei allerdings entdeckt sie bei aller Traurigkeit eine Schönheit, die wieder Hunger macht. Und so gelingen Noémie Lvovsky wunderbare Miniaturen der Lebendigkeit, etwa, wenn sie die Freundinnen beim nächtlichen Schwimmen im Freibad beobachtet oder die verzweifelten Versuche von Camille, die Stimmen ihrer Eltern auf Tonband aufzunehmen. Nein, ein herkömmliches Happy End hat ihr Film nicht zu bieten. Wie gut. Das vorsichtig optimistische Ende befriedigt so viel mehr.

Oliver Kaever

Camilles Mann Eric hat nach 25jähriger Ehe eine neue Freundin, also werfen seine Frau und er einander nur noch Sachen an den Kopf – verbal und auch in Form von Gegenständen. Was soll sie jetzt tun, wo sie nur noch ihre Katze hat? Denn die Tochter ist ja erwachsen und geht eigene Wege.

Mit den Freundinnen will sie ein wenig feiern, es ist ja Silvester. Viel getrunken hat Camille schon immer – das ist sogar einer der Gründe für das Zerbrechen der Ehe -, doch dieses Mal stellt sie ihren Rekord sogar noch ein.

Als sie am anderen Morgen aufwacht, ist sie nicht mehr dieselbe – sondern 16 Jahre alt. Sie ist wieder Schülerin, weiß aber aufgrund des Zeitsprungs – denn sie war ja schon über 40 – was die Zukunft bringen wird, beispielsweise, dass ihre Mutter nicht mehr lange zu leben hat.

Jeder staunt z. B. beim Schultheater – von Beruf war (die ältere) Camille Schauspielerin -, dass die Mitschülerin ihren Text vom Goldoni-Stück „Die Verliebten“ völlig auswendig kann. Bei dieser Gelegenheit beginnen die Hochs und Tiefs in ihrem gemeinsamen Leben mit Eric.

Auch das Verhältnis zu den Eltern ist zu deren Erstaunen ganz anders geworden. Sehr schnell bekommt die junge Camille ein Kind. Und dann stirbt wie gesagt die Mutter. Ihrem Physiklehrer übergibt sie die Aufnahme eines Liedes, das sie mit ihren Eltern gesungen hat, und verspricht dem Lehrer, ihn später wieder aufzusuchen – was denn auch geschieht.

Und auch Eric trifft sie wieder. Sie erzählt ihm, was ihr geschah. War alles nur ein Traum? Ja, es kann nur ein Traum gewesen sein. Die beiden sind ganz friedlich miteinander – ob später mehr daraus wird, weiß man nicht.

Teils Wirklichkeit, teils Traum, teils Zeitsprung, teils Märchen, handlungsmäßig alles verschachtelt und verschlüsselt. Es bedarf einiger Aufmerksamkeit, damit man alles mitbekommt.

Doch werden eine ganze Menge Lebensfacetten offenbar. Noémie Lvovsky: „Weil Camille immer nur das Absolute will und dazu noch Garantien verlangt, verpasst sie den Mann, den sie liebt und kehrt in ihr inneres Kloster zurück . . . Ist es die Zeit, die uns verändert oder gibt es in uns einen Teil, der unbeugsam bleibt? Und existiert dieser Teil unserer Unbeugsamkeit auch in der Freundschaft und der Liebe?“

Die 80er Jahre erstehen hier wieder auf, und außerdem ist von hervorragenden Schauspielern zu berichten: von Noémie Lvovsky selbst, die dem Film durchgehend Leben einhaucht; von der großartigen Yolande Moreau als Camilles Mutter; von Matthieu Amalric als Französischlehrer – und manch anderen.

Thomas Engel