Can You Ever Forgive Me?

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Melissa McCarthy in einer ernsthaften Rolle? Doch, das funktioniert, sehr gut sogar. Sie spielt die unfreundliche, verstockte, stets auf Krawall gebürstete Autorin und Biographin Lee Israel (1939-2014), die in 1980er Jahren Briefe berühmter Menschen fälschte und dann teuer verkaufte. Bis ihr das FBI auf die Schliche kam… Anspruchvolle, hervorragend inszenierte Filmbiographie, in der es um Einsamkeit in der Großstadt geht. Und um Kreativität. Denn um Briefe zu fälschen, muss man schon einiges an Fantasie aufbringen.

Webseite: www.fox.de/can-you-ever-forgive-me

USA 2018
Regie: Marielle Heller
Darsteller: Melissa McCarthy, Richard E. Grant, Jane Curtin
Länge: 107 Min.
Verleih: Fox
Kinostart: 21.2.2019

FILMKRITIK:

Nein, sympathisch ist sie wirklich nicht. Lee Israel (Melissa McCarthy) ist stets schlecht gelaunt, unzufrieden und unfreundlich. Sie liebt ihre Katze mehr als die Menschen. Auf Partys, zu denen sie trotzdem gelegentlich eingeladen ist, steht sie allein in der Ecke, verweigert sich der Kunst des Small Talks und nimmt lieber ein Glas zuviel. Lee Israel ist Biographin. Sie hat ernsthafte Bücher über Tallulah Bankhead geschrieben. Doch wen interessiert’s? Lee schreibt am Publikumsgeschmack vorbei, ihre Bücher landen auf dem Grabbeltisch. Von nun an geht’s bergab: Ihre Agentin (Jane Curtin) wirft sie raus, ihre geliebte Katze wird krank, ihr Vermieter will sein Geld. Da kommt Lee auf die Idee, ihr Schreibtalent für das Verfassen gefälschter Briefe von berühmten Menschen, Noel Coward zum Beispiel, zu nutzen und an interessierte Antiquare zu verkaufen. Das Geschäft floriert, Lee ist obenauf. Als das FBI auf sie aufmerksam wird, überträgt sie die Verkaufsgespräche ihrem schwulen Freund Jack (Richard E. Grant). Doch das Ende ist nicht mehr aufzuhalten…
 
Diese Lee Israel hat es wirklich gegeben, geboren 1939 in Brooklyn, gestorben 2014 in Manhattan. In den 1970er Jahren verdiente sie in New York ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Portraits und Biographien von Prominenten, Anfang der 1980er Jahre wendete sie sich der Kunstform der Täuschung zu, bis sie 1993 von einem Gericht verurteilt wurde. Ihre gleichnamige Autobiographie erschien 2008 und sorgte für Kontroversen, weil hier eine Betrügerin und Fälscherin aus ihren Untaten, so der Vorwurf, noch Kapital schlug. Die große Überraschung des Films von Marielle Heller ist denn auch die Darstellung der Hauptfigur durch Melissa McCarthy, die man sonst als schwergewichtige Komikerin in nicht immer gelungenen Filmen kennt. Mit großer Nickelbrille, langweiligem Haarschnitt und unvorteilhafter Kleidung spielt sie diese alkoholabhängige Misanthropin und macht so aus „Can You Ever Forgive Me?“ eine beklemmende Studie über Einsamkeit in der Großstadt. New York City erscheint hier wie ein düsterer Moloch, in dem kaum die Sonne scheint und die Menschen achtlos aneinander vorbeirennen. Man kann die schauspielerische Leistung von McCarthy gar nicht genug loben. Sie beschönigt Israels Charakter nicht und macht trotzdem aus ihr einen vielschichtigen Menschen. Natürlich hat sie betrogen. Und: Sie hat Menschen verletzt, auch jene, die ihr eigentlich helfen wollen oder sie sogar sympathisch finden. Symptomatisch ist hierfür jene Szene, in der Lee Israel mit einer Buchhändlerin (der sie im Übrigen einiges Geld mit ihren Fälschungen abgeknöpft hat) ausgeht, sogar mit ihr flirtet und sie dann zurückweist. Die Verletzungen auf beiden Seiten werden hier schmerzhaft deutlich. Klasse ist auch Richard E. Grant als schwuler und Aids-kranker Lebemann, der sichtlich Gefallen an seiner neuen, unmoralischen Aufgabe findet, ansonsten aber nicht sehr verlässlich ist. Natürlich geht es hier auch um schöpferische Kreativität. Lee Israel ist einfach gut in dem, was sie tut. Das wird besonders an den erfundenen Briefen von Dorothy Parker deutlich, deren Schreibstil und Attitüde Israel wundervoll nachempfindet. Von Dorothy Parker stammt auch der Filmtitel, und ihr gehört - in einem köstlichen Gag - auch das letzte Wort.
 
Michael Ranze