Candyman

Zum Vergrößern klicken

Der Name Jordan Peele lässt längst nicht mehr nur Horrorfilmfans aufhorchen. Der ursprünglich als Comedian bekannte Filmemacher hat sich mit „Get Out“ und „Wir“ zu einem der aufregendsten Genrefilmer unserer Zeit gemausert. Nun ebnet er der hochtalentierten Nachwuchsfilmemacherin Nia DaCosta den Weg in den Olymp, denn ihre Neuinterpretation des Neunzigerjahre-Klassikers „Candyman“ ist politisches Statement und Horrorschocker zugleich, mehr noch: Die stilistisch herausragende Mischung aus Killerfilm, Rassismusanklage und Psychodrama macht „Candyman“ zu einen der besten Filme des Jahres.

Website: www.upig.de/micro/candyman

USA 2021
Regie: Nia DaCosta
Drehbuch: Nia DaCosta, Jordan Peel, Win Rosenfeld
Darsteller:innen: Yahya Abdul-Mateen II, Teyonah Parris, Nathan Stewart-Jarrett, Colman Domingo, Rebecca Spence, Vanessa Williams
Verleih: Universal Pictures
Länge: 91 Min.
Start: 26.8.2021

FILMKRITIK:

„Candyman, Candyman, Candyman“ – eine uralte Legende besagt, dass der, der diese drei Worte in einen Spiegel spricht, eine düstere Gestalt heraufbeschwört: einen Mann in auffälligem Fellmantel, mit einem Haken anstatt seiner rechten Hand und umgeben von Bienenschwärmen, der durch Spiegelungen in Fenstern und anderen Glasflächen in der Lage ist, seine Opfer qualvoll zu ermorden. Auch der aufsteigende Künstler Anthony (Yahya Abdul-Mateen II) erfährt von dieser Legende, als er gemeinsam mit seiner Freundin Brianna (Teyonah Parris) in jene Gegend zieht, die den Candyman hervorbrachte. Mittlerweile hat die Gentrifizierung die einstige Sozialwohnungssiedlung Cabrini Green zu einem Hotspot für Besserverdiener und aufstrebende Millennials gemacht, doch der Schatten seiner Vergangenheit lastet bis heute auf ihm. Der alteingesessene Bewohner William (Colman Domingo) erzählt Anthony von den grausamen Hintergründen der Candyman-Legende und inspiriert ihn dadurch zu seinen neuesten Werken. Doch als die Chicagoer Kunstwelt ihn bereits als neuen Überflieger feiert, ist es bereits zu spät: Anthony ist längst in den Bann des Candyman geraten…

Im Vorfeld der „Candyman“-Veröffentlichung äußerten sich Teile der internationalen Filmpresse kritisch zum Marketing des Films. Horrorfilmproduzent, -Regisseur und -Autor Jordan Peele nahm im ersten Trailer der Genreklassiker-Neuinterpretation überraschend viel Raum ein („Vom Macher von ‘Get Out‘ und ‘Wir‘“ – man kennt den typischen PR-Duktus), die Regisseurin und Mitautorin Nia DaCosta („Little Woods“) dagegen nur einen winzig kleinen, obwohl sie ja eigentlich die treibende kreative Kraft hinter „Candyman“ ist. Nun dürfte die Marketingfokussierung auf Jordan Peele allerdings kaum eine Genderangelegenheit gewesen sein. Stattdessen lässt sich mit einem mittlerweile berühmt-berüchtigten Horrorfilmer einfach viel besser werben als mit einem bisher unbeschriebenen Blatt. Dass sich das alsbald ändern und Nia DaCosta auf keinerlei Schützenhilfe durch ihre männlichen Filmemacherkollegen mehr angewiesen sein wird, damit dürfte sie mit ihrer ersten, der breiten Masse zugänglich gemachten Studioproduktion ganz von selbst sorgen. Ihre Neuauflage des Schauerklassikers von 1992, mit dem sich Tony Todd in der gleichnamigen Schlitzerrolle – im wahrsten Sinne des Wortes – unsterblich machte (an dieser Stelle empfehlen wir übrigens gern einen Blick in die Black-Horror-Dokumentation „Black Cinema“), ist ein derart lautes Statement, dass man im Anschluss an den Film gar nicht anders kann, als sehnlichst ihrem nächsten Projekt entgegenzufiebern. Und das gilt nicht nur für DaCostas stilsichere Inszenierung, sondern erst recht dafür, wie viel sie mit ihrem Film zu sagen hat. Schon das Original war einst nicht nur die Geburt einer Horrorfilmlegende, sondern auch ein bissiger Kommentar auf Gentrifizierung und Gewalt gegen Schwarze. Der „Candyman“ von 2021 breitet nun vor allem den zweiten Part inhaltlich aus und trifft einen aller spätestens mit einer simplen Texteinblendung am Ende des Films in die Magengrube, wenn hier nämlich Mailadressen und Telefonnummern eingeblendet werden, an die sich Opfer von strukturellem Rassismus Hilfe suchend wenden können. „Candyman“ ist so viel mehr als ein banaler Horrorfilm.

Dass der im Genre einfach schon deutlich mehr Erfahrung mitbringende Jordan Peele seiner Kollegin als kreativer Berater zur Seite stand (und mit ihr sowie „Blackkklansman“-Produzent Win Rosenfeld das Drehbuch verfasste), ist „Candyman“ anzumerken. Dabei ist es längst nicht nur die erzählerische Vermengung eines klassischen Horrorfilmplots mit einer radikal-politischen (radikal im Sinne von „deutlich“), die Black Community auffangenden Botschaft. Auch stilistisch ist Peeles Einfluss in Details spürbar. Peele mag die Übersicht über das Grauen, das – im wahrsten Sinne des Wortes – Herauszoomen aus einem Wespennest, was den Blick auf das große Ganze freilegt sowie das sukzessive deutlicher werdende, zunächst nur angedeutete Grauen, ohne dabei redundant zu werden. Allein die Tatsache, wie abwechslungsreich Nia DaCosta die zahlreichen, für einen großen Studiofilm bemerkenswert blutigen Kills inszeniert, obwohl die Art, wie der Candyman vorgeht, immer identisch ist (er schlitzt seinen Opfern mit seiner Hakenhand die Kehle durch), ist stark. Schon der „Candyman“ der Neunzigerjahre war nicht zwingend für seinen hohen Bodycount bekannt; da waren Michael Meyers, Jason Vorhees und Co. deutlich krasser unterwegs. In der neuen Version gehen die Kreativen sogar noch einen Schritt weiter und inszenieren die Gewalt eher wie ein notwendiges Übel. Vielleicht auch aufgrund des über dem gesamten Film hängenden Damoklesschwerts namens Polizeigewalt gegen Afroamerikaner:innen – und weil der den Taten des Candymans seit jeher innewohnende Rachegedanke für die erlittene Pein zwar naheliegend ist, aber im Angesicht der Ernsthaftigkeit einfach keinen Anlass zum Voyeurismus bieten sollte. Und dass die Catchphrase des Films – „Say His Name!“ – sicher nicht umsonst genau jener Ausruf ist, der im Zuge solch erschütternder Rassismusfälle, wie etwa jenem um George Floyd, ausgerufen wird, um an die Namen der Opfer und eben nicht der Täter zu erinnern, kommt sicherlich auch nicht von ungefähr.

Überhaupt hat man das Gefühl, in „Candyman“ existiere kein visuelles sowie erzählerisches Detail ohne Grund. Von den kreativen, im Stil eines Schattentheaters inszenierten Rückblenden, in denen sich das Thema „Schwarz und Weiß“ kaum besser auf den Punkt bringen ließe, über die allgegenwertige Spiegelsymbolik, die seit jeher ein gern genommenes Motiv ist, um die gegenwärtige Seite in einem selbst darzustellen, bis hin zu der Infragestellung, ob „Candyman“ nun eigentlich eine Fortsetzung oder ein Remake ist, fügt sich jedes von ihnen wie ein Puzzlestück in die Inszenierung. Manch einer wird vor allem von Letzterem irritiert sein. Zumal Nia DaCosta das bereits existente, drei Filme umfassende „Candyman“-Universum zwar klar in ihre Story miteinbezieht, sich aber immer nur lose an einzelnen, dort etablierten Gegebenheiten bedient und zudem manch neues, bisher unbekanntes Detail in der Welt unterbringt. Doch schließlich weiß man auch im Anbetracht immer wieder zyklisch überschwappender Eskalationen im Streit zwischen weißen und schwarzen (US-amerikanischen) Bürger:innen nie so wirklich, ob hier einfach nur gerade ein alter Streit neu entflammt (Remake), oder sich ebenjener einfach nur fortführt (Fortsetzung). Das Ende erweist sich da folgerichtig als angenehm bitter, jedoch ohne dabei verbittert zu sein. Nia DaCosta hat offensichtlich Hoffnung.

Doch Politparabel hin oder her: „Candyman“ ist vordergründig vor allem eines: ein waschechter Horrorfilm, der sich seinem Ursprung als Slasher jederzeit bewusst ist. Dabei sind es weniger die Morde an sich, die für Gänsehaut sorgen. Ebenjenen wohnt nämlich vor allem ein ungehöriges Stilbewusstsein inne, wenn Nia DaCosta einen Mord mal aus weiter Ferne durch eine Fensterfront einfängt (vor allem die Tatsache, dass man den Candyman in vielen Szenen nicht sieht, sondern die Opfer wie von Geisterhand durch die Luft geschleudert werden, macht optisch viel her), ein anderes Mal direkt draufhält, wie der Boogeyman einem Kerl den Hals aufschlitzt und wieder ein anderes Mal einfach nur auf die blutigen Folgen blickt, die der Candyman wieder einmal hinterlassen hat. Anders als im Achtzigerjahre-Killerikonenkino funktioniert „Candyman“ nicht nach einer Abzählreimdramaturgie, wodurch sich die Reihenfolge der Morde erahnen ließen. Stattdessen entwirft DaCosta für jeden Mord ein eigenes Setting, etabliert neue Figuren und rechtfertigt dieses breit gefächerte Feld möglicher Opfer vor allem über die mediale Ausbreitung der Legende. Dass die Hauptfigur Anthony ein aufstrebender Künstler ist, hat nicht nur Auswirkungen auf die Filmstilistik, sondern rechtfertigt auch die sukzessive Verbreitung des Candyman-Fluchs. Spätestens nach einem Doppelmord auf einer Vernissage, auf der Anthony erstmals auf sich aufmerksam macht, sind die Legende und der Maler untrennbar miteinander verbunden. Sowohl in der Wahrnehmung der Figuren im Film als auch auf Plotebene. Ohne an dieser Stelle allzu viel zu verraten, wird sich Anthonys Dasein noch als wohl wichtigstes Puzzleteil in dieser Geschichte erweisen. Und hier kommt schließlich auch wieder die Thematik der Gentrifizierung ins Spiel. Denn spätestens dank „Poltergeist“ weiß jede/r, dass man vor einem Umzug in ein neues Heim erst einmal überprüfen sollte, auf wessen Grund und Boden hier eigentlich gebaut wurde. Oder hier: auf dem Boden wessen Legende.

Hauptdarsteller Yahya Abdul-Mateen II („The Get Down“) erweist sich für seine Rolle des vom Bösen faszinierten Künstlers als wahrer Glücksgriff. Das spöttische Herabblicken auf all jene, die den Candyman-Fluch ernstnehmen, verwandelt sich spätestens in der zweiten Hälfte in eine ansteckende Obsession. So ist das eben, wenn einen die falsche Muse küsst respektive die falsche Biene sticht. Damit erinnert er bisweilen an Jake Gyllenhaal im Netflix-Thriller „Die Kunst des toten Mannes“ – nur eben mit einem Elan, wie man ihn dann doch eher in „Nightcrawler“ gesehen hat. Die mitunter ein wenig zu reißerisch inszenierten Sequenzen, in denen sich in Anthonys Wahrnehmung Realität und Wahn vermischt (Stichwort: Fahrstuhl), hätte es da gar nicht zwingend gebraucht, um Anthonys Geisteszustand zu untermauern. Genauso wenig den (zugegeben: hervorragend getricksten) Effekt seines nach und nach durch einen Bienenstich abfaulenden Arms, anhand dessen sich ablesen lässt, wie schlecht es (auch) um Anthonys Seele bestellt ist. Abdul-Mateen II steht mit Teyonah Parris („Beale Street“) derweil eine fabelhafte Kollegin gegenüber, die nicht nur dann brilliert, wenn ihr die Angst um ihren geliebten Freund ins Gesicht geschrieben sieht, sondern vor allem in den letzten Minuten des Films. Ihr erinnert euch: bitter, aber nicht verbittert…

Fazit: In seiner stilistisch herausragenden Mischung aus abgebrühtem Killerfilm, Rassismusanklage und Psychodrama um einen von seiner Muse vereinnahmten Künstler ist „Candyman“ einer der besten Filme des Jahres und vermutlich der Startschuss für eine spannende Karriere der Regisseurin Nia DaCosta.

Antje Wessels