Carlos – Der Schakal

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Vordergründig ein biographischer Film über Ilich Ramirez Sanchez, genannt Carlos, eine der schillerndsten Figuren in der Geschichte des internationalen Terrorismus, versucht Olivier Assayas in seinem epischen Werk ein umfassendes Bild des Terrors zwischen ca. 1970 und 1994 zu zeichnen. Die Story des opulenten Epos erinnert zwar beiläufig an Uli Edels BAADER-MEINHOF-KOMPLEX, stößt aber in ganz neue Kinodimensionen vor, die selbst Steven Soderberghs fast fünfstündige Che Guevara-Biographie in den Schatten stellt. CARLOS ist Kino pur, mit großartiger Besetzung.

Webseite: www.nfp.de

Frankreich 2009
Regie: Olivier Assayas
Drehbuch: Olivier Assayas, Dan Franck
Darsteller: Edgar Ramirez, Alexander Scheer, Nora von Waldstätten, Alejandro Arroyo, Rodney El Haddad, Christop Bach, Julia Hummer
Verleih: NFP
Kinostart: 4. November 2010
330 Minuten (Langfassung in ausgewählten Kinos),
ca. 160 Minuten (reguläre Kinofassung)
 

PRESSESTIMMEN:

Ein Meisterwerk.
Kölner Stadtanzeiger

Sex, Lügen und Macht: Olivier Assayas liefert dem Festival mit dem Terroristen Carlos großes Kino.
Süddeutsche Zeitung

Ein opulentes Epos... Eine mitreißende Tour de force durch mehr als zwei Jahrzehnte europäischer Geschichte, nicht eine Sekunde der Laufzeit von fünf Stunden und 33 Minuten zu lang. Selten wurde im Film so packend von Logistik erzählt, von den Planungen der Anschläge, der Überfälle und der Fluchten. Vielleicht gab es noch nie einen Spielfilm mit so vielen Flughafen-Szenen. Der Film von Assayas ist schnell, manchmal hyperventiliert er wie sein Held, verliert aber nie seinen epischen Atem.
Der Spiegel

FILMKRITIK:

Irgendwie scheinen Terroristen-Biografien in den letzten Jahren Konjunkturzu haben. Nach Steven Soderberghs Zweiteiler „Che“ und Uli Edels „Baader-Meinhof-Komplex“ trumpft nun Olivier Assayas mit einem Dreiteiler über den Top-Terroristen Carlos auf. In Cannes wurde er kurzfristig aus dem Wettbewerb genommen, da man kein Fernsehen zeigen wollte. Dumm war nur, dass man so die eh‘ schwache Konkurrenz um den stärksten Film brachte.

Amphibienfilme, so nennt man Fernsehfilme, die gern mit viel Filmförderung produziert werden, weshalb eine Kurzfassung für‘s Kino gedreht wird. „Carlos“ ist da keine Ausnahme, 330 Minuten dauert die Ursprungsfassung, die im Kino auf 160 Minuten eingedampft werden soll. Wie das gehen soll, ist wohl jedem unklar, der die Langfassung gesehen hat, denn Olivier Assayas Biopic über den meist gefürchtesten Terroristen der 70er und 80er Jahre, erinnert zwar beiläufig an Uli Edels „Baader-Meinhof-Komplex“, stößt aber in ganz neue Kinodimensionen vor, die selbst Steven Soderberghs fast fünfstündige Che Guevara-Biographie in den Schatten stellt. „Carlos“ ist Kino pur, rasant, spannend, bildverliebt und mit großartiger Besetzung, in der Edgar Ramirez den internationalen Top-Terroristen spielt, von dessen ursprünglichen marxistischen Idealen nichts mehr übrig bleibt.

Kann er anfangs mit der Geiselnahme der Energiepolitiker auf der OPEC-Konferenz in Wien bleibende Berühmtheit erlangen, wird er fortan zerrieben zwischen den Fronten eines Kalten Krieges, dem jegliche Mittel recht sind. Dass der Einzelkämpfer dabei den kürzeren ziehen wird, ist die ganze Zeit absehbar, dennoch dauerte Carlos ‚Karriere“ zwanzig Jahre lang an, bevor er von den Franzosen im Sudan geschnappt wird.
Neben den schauspielerischen Leistungen beeindruckt CARLOS damit, dass er keine Minute langweilig ist und neben dem persönlichen Niedergang des Top-Terroristen, der seine ursprünglichen Ideale immer wieder verraten muss, um am Leben zu bleiben, dechiffriert Assayas ganz nebenbei den internationalen Terrorismus als Geldbeschaffungsmaschinerie, die allein dem eigenen Überleben dient. Das merken die Geheimdienste schnell und machen sich Carlos‘ Dienste zu eigen. Geld spielt dabei keine Rolle, und so spielt der Film nicht nur an den bekannten Tatorten, sondern auch in First Class Hotels, hinter bürgerlichen Fassaden und im internationalen Jet-Set, wo man sich gerne einen gute Zigarre und den besten Wein munden lässt.

Schon am Anfang des Films löst Assayas diesen Widerspruch zwischen politischen Idealen und persönlicher Eitelkeit auf, als Carlos aus der Dusche tritt, im Spiegel seinen Körper betrachtet und anschließend die Gardinen zurückzieht, als wolle er die Welt an ihm teilhaben lassen.

Irgendwie nimmt das sein ganzes Leben und auch sein Ende vorweg. Dazwischen allerdings gibt es jede Menge Action, bildhübsche Frauen und jede Menge Arragements mit Geheimdiensten auf der ganzen Welt. Mit Edgar Ramirez hat Assayas einen fulminanten Schauspieler besetzt, der Carlos Eitelkeit, sein Machotum, aber auch seine kopromisslose Gefährlichkeit hautnah rüberbringt. Wie Carlos selbst ist auch Ramirez Venezolaner, spricht fünf Sprachen und ist auf der ganzen Welt zu Hause. Und noch eines gelingt Assayas; er zeigt wie gut deutsche Schauspieler sein können. Auch wenn Alexander Scheer und Christoph Bach gegen Ramirez nicht anspielen können, gelingen Julia Hummer und Nora von Waldstätten doch die besten Leistungen ihrer noch jungen Schauspielerkarriere. So vergehen die fünfeinhalb Stunden wie im Fluge, und wer das Ganze voll genießen will, sollte sich die Originalfassung mit Untertiteln anschauen, denn „Carlos“ ist auf der ganzen Welt zu Hause, spricht fließend Spanisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Arabisch, was der Synchronisation des Films einige Probleme bereiten dürfte.

Kalle Somnitz

Irgendwann, nach zwei, drei, vier Stunden, wenn sich die Szenen des Terrors zu wiederholen beginnen, man angesichts der zahllosen Schauplätze, Figuren, nur halb angedeuteten Verflechtungen von Ereignissen und Akteuren langsam den Überblick zu verlieren beginnt, gerät eine fundamentale Frage in den Vordergrund: Was will Olivier Assayas hier eigentlich erzählen? Ja, „Carlos – Der Schakal“ ein ursprünglich für das französische Fernsehen entstandener Dreiteiler, der sowohl in ungekürzter, fünfeinhalb Stunden langer Fassung (auf die sich dieser Text bezieht), als auch in gekürzter Form ins Kino kommt, ist eindrucksvoll und rasant.

Anfang der siebziger Jahre steigt der Film ein, als der internationale Terrorismus noch in den Kinderschuhen steckte. Schlag auf Schlag geht es nun voran, reiht Assayas Anschlag auf Anschlag, Flugzeugentführung auf Geiselnahme, springt der Film zwischen Frankreich, Syrien, Deutschland, Holland, Algerien und zig anderen Ländern hin und her, entwickelt ein kakophonisches Stimmengewirr und scheint es sich zum Ziel gesetzt zu haben kein Ereignis, keine Person, die im Terrorismus der siebziger und achtziger Jahre eine Rolle spielte auszulassen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit und der Beginn zahlreicher innerer Widersprüche und Inkonsequenzen dieses Werks, dass es letztlich so fragwürdig macht.

Zu Beginn informiert eine Texttafel darüber, dass man nun das Ergebnis journalistischer Recherchen sehen wird, der Film aber letztlich zwangsläufiger Weise eine fiktionale Arbeit ist, da es für viele Ereignisse keine Zeugen gibt. Szenen etwa, in denen man Carlos (Edgar Ramirez) allein vor dem Spiegel stehen sieht, nackt, seinen noch straffen Körper bewundert, sich ans Gemächt fassend. Angesichts des überlieferten Egos von Carlos eine durchaus glaubwürdige Szene, aber fraglos eine fiktive, zudem stilisierende. Andererseits bemüht sich Assayas mit seinem zurückgenommenen Stil ganz offensichtlich um dokumentarische Authentizität. Meist reiht der Film Szene an Szene, ohne Kontext, ohne offensichtlichen Zusammenhang, so als würde er einfach nur die Fakten für sich sprechen lassen. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die häufige Einblendung von tatsächlich dokumentarischen Szenen aus der Zeit, die bisweilen mit den nachgestellten Szenen verschmelzen. Ganz offensichtlich also die Suggestion von Authentizität, die dem Credo der Filmemacher hier eine Fiktion zu präsentieren, fundamental widerspricht.

Wobei „Carlos“ so nah an den Fakten erzählt, wie das der momentane Stand der Erkenntnisse erlaubt. Bis in kleinste Details rekonstruiert Assayas zusammen mit seinem Co-Drehbuchautor Dan Franck den Beginn des Mythos Carlos, die OPEC-Geiselnahme in Wien 1975, die Verstrickungen der deutschen Linksterroristen aus den Reihen der Revolutionären Zellen in das Umfeld der palästinensischen PFLP unter ihren Anführer Wadi Haddad, bis hin zur Entführung und Verhaftung Carlos durch französische und amerikanische Agenten aus seinem letzten Versteck, dem Sudan. Nur: Um Carlos Leben im Speziellen geht es Assayas offenbar nicht. Weite Strecken des Films bleibt Carlos außen vor, wird von der japanischen Roten Armee Fraktion erzählt, vom Ausstieg des deutschen Terroristen Hans-Joachim Kleins, von zahlreichen Personen und Ereignissen und schließlich auch von der Verstrickung der internationalen Geheimdienste in die Welt des Terrorismus. Im Detail ist das alles höchst spannend, im Besonderen die weit über den Film hinausführenden Implikationen, die Andeutungen von staatlich sanktionierten Morden, fragwürdiger Aktionen von Stasi, CIA, Mossad et al.

Mit Carlos allerdings hat das oft nur am Rande zu tun. Und angesichts der epischen Länge fragt man sich dann doch, warum etwa der persönliche Rachefeldzug gegen Frankreich, den Carlos Anfang der 80er Jahre durchführte (auch der Anschlag auf das Maison de France in Berlin fällt in diese Zeit), nachdem Paris seine Geliebte Magdalena Kopp verhaftet hatte, komplett außen vor bleibt. Denn nichts verdeutlicht das narzisstische Ego Carlos mehr, als diese Reihe von Anschlägen, die rein aus verletzter Eitelkeit erfolgten. Der Lebemann Carlos, der sich stets mehr um seine Bettgeschichten und seinen persönlichen Luxus sorgte als ein ideologischer Freiheitskämpfer/Terrorist (je nach Sichtweise) zu sein, kommt bei Assayas befremdlich gut weg. Mag sein, dass der Regisseur Carlos nicht bewusst stilisieren wollte. Wenn man dann aber einen extrem charismatischen Hauptdarsteller wie Edgar Ramirez einsetzt, der in rasanter Montage, oft unterlegt von pulsierender Musik durch die Weltgeschichte reist, die Baskenmütze lässig auf dem Kopf, das Maschinengewehr cool in der Hand, dann ist man von der Verklärung des Terrors nicht weit entfernt.

Und das ist die größte Schwäche von Olivier Assayas „Carlos“: Dass der Versuch, durch eine objektive Darstellung von Ereignissen, die ohne Struktur, ohne Handlungsbogen aneinandergereiht werden, eine neutrale Sicht auf die Geschichte des Terrorismus der siebziger und achtziger Jahre zu werfen, so oft scheitert. Keine Haltung zum Gezeigten zu entwickeln, Ereignisse für sich sprechen lassen, Figuren nicht zu psychologisieren, ihren Antrieb, ihren Charakter nicht erklären zu wollen, den Zuschauer zu zwingen, eine eigene Sicht auf die Geschichte zu entwickeln, kann ein faszinierender Ansatz sein. Wenn er aber so inkonsequent und voller Widersprüche durchgeführt wird, wie es Olivier Assayas in seinem Film tut, muss man das Ergebnis, gerade bei einem Thema wie dem ideologische verbrämten Terrorismus, als höchst fragwürdig empfinden.

Michael Meyns

Ein Mehr-Stunden-Film über einen, der in jungen Jahren ein kämpferischer Idealist und Marxist war – später aber nur noch ein Söldner, Waffenhändler und Verbrecher.

Carlos, der Terrorist, mit wirklichem Namen Ilich Ramirez Sanchez, aus Südamerika stammend, wollte zunächst sich mit den Armen und Entrechteten zusammentun und ihnen mit härtestem Kampf zu ihrem Recht verhelfen. Vor allem war er in den 70er Jahren der Überzeugung, dass den Palästinensern großes Unrecht angetan werde – deshalb sein Hass nicht auf die Juden im allgemeinen, sondern auf die „Zionisten“.

Sein terroristisches „Prunkstück“ war in Wien die Geiselnahme der OPEC-Ölminister, die er unter Erpressung der österreichischen und mit Hilfe der algerischen Regierung ziemlich erfolgreich durchführte. Später kooperierte er mit Libyen, dem Irak, dem Sudan und anderen. Aber da war er längst kein Freiheitskämpfer mehr, sondern – mit in den einzelnen Ländern mehr oder weniger straff aufgebauten Organisationen – ein gewöhnlicher Waffenschieber und Auftragskiller.

Mit der RAF sowie mit der DDR-Stasi arbeitete er ebenfalls eng zusammen. Bis dann Anfang der 90er Jahre nach dem Fall der Mauer der Kalte Krieg zu Ende war, niemand mehr seiner bedurfte und er von ehemals eigenen Leuten verraten wurde.

Er hat Menschen umgebracht – wie viele genau weiß niemand. Aber die Franzosen schnappten ihn schließlich und verurteilten ihn zu lebenslanger Haft, weil bezeugt und bewiesen werden konnte, dass er zwei französische Polizisten nicht etwa im Kampf tötete, sondern ermordete.

Unlängst wurde berichtet, dass Carlos sich im Gefängnis verlobt habe. Frühere Frauen, verheiratet oder nicht, hatte es en masse gegeben. Gegen diesen Film will er gerichtlich vorgehen.

Eine minutiöse Rekonstruktion dieses Lebens: viele Attentate, viele Schauplätze in der ganzen Welt. Dutzende zum Teil fähigster darunter auch eine Reihe deutscher Darsteller – vor allem der Schauspieler der Titelrolle, Edgar Ramirez, ist Spitze – aufs rasanteste inszeniert. Natürlich mag der Film Kürzungen oder einige Kritik vertragen, aber insgesamt ist er eine politisch-historische, epochentypische, filmisch-kinomäßige und auch menschlich-psychische Fundgrube. Die Stunden vergehen schnell.

Thomas Engel