Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance

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Die archaische Kraft der Berge, die Überwindung eigener Grenzen, das Glücksgefühl, als erster Mensch etwas erreicht zu haben. Um diese Aspekte dreht sich Thomas Dirnhofers Dokumentation“ Cerro Torre“, der den jungen Freikletterer David Lama bei seinem langjährigen Versuch beobachtet, einen der berühmtesten Gipfel der Welt ohne technische Hilfsmittel zu besteigen.

Webseite: www.redbull.de

Österreich 2013 - Dokumentation
Regie: Thomas Dirnhofer
Länge: 104 Minuten
Verleih: Red Bull Media House
Kinostart: 16. März 2014

FILMKRITIK:

Besonders hoch ist er nicht: Gerade einmal 3128 Meter misst der Cerro Torre – ganz Bolivien liegt zum Beispiel höher – und gilt doch als einer der schwierigsten und schönsten Berge der Welt. Ganz weit im Süden Patagoniens gelegen, an der Grenze zwischen Argentinien und Chile, in karger Landschaft und offenem Gelände, was für rasante Wetterumschwünge sorgt. Wie eine Zinne ragt der Cerro Torre empor, Steilwände auf allen vier Seiten machen den Aufstieg so schwer, das Wetter tut sein übriges.

2009 entschloss sich der bis dato als Hallenkletterer zu frühem Ruhm gekommene David Lama – 19jähriger Sohn eines nepalesischen Vaters und einer österreichischen Mutter – im jugendlichen Überschwung und wohl auch mit jugendlicher Arroganz, den Cerro Torre im Freikletterstil zu bezwingen, also ohne technische Hilfsmittel. Seile und Haken werden bei dieser Bergsteiger-Technik nicht zum Klettern benutzt, sondern nur zur Sicherung.

Doch beim ersten Versuch scheitert Lama an seiner Hybris: Unerfahren im Berg, begleitet von einem Filmteam, dass für aufregende Bilder bereit ist jede ungeschriebene Regel des an ethischen Benimmregeln reichen Bergsports zu brechen, scheitert Lama kläglich und sieht sich harscher Kritik der Bergsteigerszene ausgesetzt.

Ein Jahr später versucht er es erneut, erreicht auch den Gipfel, doch bedient er sich dabei einer abgesicherten Route, die einst der italienische Bergsteiger Cesare Maestri mit einem Kompressor verbohrt hatte und die seitdem als Kompressor-Route unrühmliche Bekanntheit errungen hat. Im Frühjahr 2012 schließlich versucht es Lama noch einmal und diesmal gelingt der kaum möglich gehaltene Erfolg: Die Besteigung des Cerro Torre in der Freikletter-Technik.

Auch wenn man sich fürs Bergsteigen nicht interessiert, kann man von der Leistung David Lamas nur beeindruckt sein. Und nicht zuletzt von der Faszination der Berge Patagoniens, die das Filmteam um Thomas Dirnhofer in atemberaubende Bilder eingefangen hat. Doch „Cerro Torre“ will von mehr erzählen, als einfach nur von einer erfolgreichen Bergtour.

Es soll auch um die Ethik des Bergsteigens gehen, einer Welt, in der ständig Debatten um die „korrekte“, moralisch vertretbare Art des Bergsteigens geführt werden. Allzu viele technische Hilfsmittel werden dabei von vielen abgelehnt, der Massentourismus, der inzwischen etwa auf dem Mount Everest herrscht mit Verachtung betrachtet. Während ein Ersteigen des höchsten Berges der Welt inzwischen vor allem eine Frage des Geldbeutels ist (eine geführte Tour zum Gipfel kostet circa 50.000 Euro) und weniger mit Bergsteigerisches Fähigkeiten zu tun (von 13 bis 80jährigen und selbst einem Blinden war inzwischen fast jeder auf dem Gipfel der Welt), ist das Bezwingen von in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannten Gipfeln oder Wänden unter Bergsteigern wirklich anerkannt.

So ist „Cerro Torre“ auch ein Film über den Reifeprozess eines jungen Mannes, der im Laufe der Jahre erst viel lernen muss, bevor er nicht nur die körperlichen Fähigkeiten besitzt, sondern auch die mentale Stärke hat, um den Cerro Torre zu bezwingen. Neben den atemberaubenden Aufnahmen, sind es vor allem diese Aspekte, die Thomas Dirnhofers „Cerro Torre“ zu einem sehenswerten Bergfilm machen.

Michael Meyns