Churchill

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Ausgerechnet kurz vor dem D-Day, der Invasion der Alliierten in der Normandie im Juni 1944, wankt Winston Churchill (Brian Cox). Den Staatsmann, der seine Nation so souverän durch die ersten schweren Jahre des Zweiten Weltkrieges geführt hat, befallen Skrupel angesichts des Risikos, das die Militäroperation birgt. Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg quälen ihn, wo er an der türkischen Küste in Gallipoli Zeuge wurde, wie desaströs eine solche Invasion für die Angreifer enden kann. Seine Vorbehalte gegen die Strategie von Oberbefehlshaber Eisenhower (John Slattery) stoßen aber selbst bei seiner Frau und engsten Vertrauten Clementine auf taube Ohren. Auf die allgemeine Ablehnung reagiert Churchill gekränkt und cholerisch. Damit gefährdet er aber nicht nur den Erfolg der Operation, sondern auch seine Ehe. In Mikrokosmos des singulären historischen Ereignisses um den D-Day entfaltet der Film ein eindringliches Kinoporträt des vielleicht berühmtesten Briten aller Zeiten.

Webseite: www.churchill-film.de

GB 2017
Regie: Jonathan Teplitzky
Darsteller: Brian Cox, Miranda Richardson, John Slattery, Ella Purnell
Laufzeit: 98 Min.
Verleih: Square One/Universum Film (DCM)
Kinostart: 25. Mai 2017

FILMKRITIK:

Juni 1944: Die alliierten Truppen sammeln sich an der britischen Küste um mit einer gewaltigen Armee von 250.000 Mann an den Stränden der Normandie zu landen. Die größte Militäroperation mit dem Namen „Overlord“ gegen Nazi-Deutschland ist nicht ohne Risiko, aber für die Militärführung um US-Oberbefehlshaber General Eisenhower (John Slattery) und dem britischen General Montgomery (Julian Wadham) ohne Alternative. Nur der britische Premierminister Winston Churchill (Brian Cox) möchte die Invasion im letzten Augenblick noch stoppen. Ihn befallen angesichts des nahenden D-Days böse Erinnerungen an eine Militäroperation aus dem Ersten Weltkrieg, an der er maßgeblich beteiligt war. Damals im Jahre 1915 geriet die Erstürmung der türkischen Küste bei Gallipoli zur Katastrophe, die über 100.000 Alliierte Soldaten aus Australien und England das Leben kostete. Churchills Skrupel stürzen den erfahrenen Politiker in eine schwere Krise, die ihn kurzzeitig depressiv und handlungsunfähig macht. Einzig seine Frau Clementine scheint den sturen Staatsmann noch erreichen zu können. Allerdings steckt die Ehe ebenfalls in einer Krise. Zulange hat Churchill die Frau an seiner Seite mit seinen egozentrischen Launen gepeinigt, jetzt droht das Fass überzulaufen, denn der entschlossene Kämpfer aus den frühen Tagen des Zweiten Weltkrieges wirkt nur noch wie ein Schatten seiner selbst.

Angesichts der unbestritten gewaltigen historischen Bedeutung, die Winston Churchill nicht nur für die britische Geschichte hat, erscheint das Biopic von Regisseur Jonathan Teplitzky („The Railway Man“) auf den ersten Blick geradezu despektierlich. Doch die Geschichte nach dem Drehbuch der britischen Historikerin Alex von Tunzelmann zeigt in diesem Ausschnitt aus dem Leben des Politikers, den Menschen hinter dem Mythos Churchill, einen Mann mit Fehler und Kanten. Wie schon John Lithgow, der in der Serie »The Crown« Churchill als komplizierten, fehlerbehafteten Charakter spielte, gelingt es auch jetzt Brian Cox den zornigen Zigarrenraucher Churchill überzeugend und spannend auf die Leinwand zu bringen. Gerade weil der Sturkopf lange Zeit so wenig strahlend und vorteilhaft daherkommt, bewegt seine späte schmerzhafte Einsicht, privat und politisch auf Abwegen gewesen zu sein. Dabei gerät seine Auseinandersetzung mit Ehefrau Clementine, charismatisch verkörpert von Miranda Richardson, nie zum simplen Ehedrama, wie überhaupt politisches und privates bei dieser Persönlichkeit nicht zu trennen sind. Wie bei einem klassischen Boxer-Drama demonstriert „Churchill“ auf einprägsame Weise, dass nicht der Sturz entscheidend ist, sondern die Fähigkeit, wieder aufzustehen.
 
Nobert Raffelsiefen