Citizen Animal

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Vater, Mutter und Kind begeben sich gemeinsam im Wohnmobil auf die Reise zu Menschen, die sich in besonderer Weise für Tiere, ihre Würde und ihre Rechte einsetzen. Dabei ist der Grundton ganz unerwartet optimistisch, trotz aller Kritik an den augenblicklichen Zuständen. Mit einem naheliegenden Kunstgriff gibt Oliver Kyr den Tieren eine Stimme: Er lässt eine junge Frau für die Tiere sprechen und begibt sich auf diese Weise in einen Dialog mit ihnen. Das macht den Film familienkompatibel, sorgt aber durch die - eigentlich verpönte - Vermenschlichung für eine starke Emotionalität und dadurch für einen merkwürdigen Widerspruch. Doch dies betrifft eher die Form als den Inhalt, und hier punktet die kleine Dokumentation gewaltig, zum einen aufgrund der zahlreichen wirklich interessanten Informationen, zum anderen wegen der dargestellten Alternativen zu der vorherrschenden Ausbeutung von Tieren durch den Menschen.

Webseite: citizenanimal.de

Dokumentarfilm
Deutschland 2018
Buch, Regie, Kamera, Schnitt: Oliver Kyr
Musik: Mona Mur/ En Esch
Stimme der Tiere: Bella Krieger
100 Minuten
Verleih: Jip Film und Verleih
Kinostart: 26.04.2018

FILMKRITIK:

Sicherlich ein Höhepunkt des Films ist der Besuch bei der weltbekannten Verhaltensforscherin und Tierschützerin Dr. Jane Goodall, die auch als Uno-Friedensbotschafterin tätig ist. Die alte Dame zieht so etwas wie ein Fazit zu dem, was die „Pegasus-Familie“, bestehend aus Vater Oliver, Mutter Tatjana und Tochter Bonnie, vorhergesehen, erlebt und gehört haben: Letztlich geht es um die menschliche Verantwortung gegenüber der Welt, zu der Tiere ebenso wie Menschen gehören.
 
Das Motto des Films könnte lauten: Tiere als Geschwister der Schöpfung, und die Erde als Wohnung für die ganze Familie. Oliver Kyr und seine Familie ergreifen dabei ganz eindeutig Partei für die Tiere, ob es um ein neues Zuhause für verwaiste und ausgesetzte Haustiere, um Rechte für Menschenaffen oder um den Kampf für den Erhalt der Meeresfauna geht.
 
Was man dafür tun kann, damit es den Tieren besser geht, hängt dabei von jedem Einzelnen ab, aber auch von der gesellschaftlichen Situation. Oliver Kyr präsentiert viele Beispiele für ein verändertes Verständnis von Tierschutz und Tierwohl, die er bei seinen Recherchen entdeckt hat. Es geht schon damit los, dass noch nicht einmal alle Staaten der Erde eigene Tierschutzgesetze haben. Hier gibt es eine Schweizer Organisation, Global Animal Law, in der sich ganz pragmatisch Juristen dafür einsetzen, dass zumindest gewisse Grundlagen eingehalten werden – eine Minimalforderung. Die Rechtsanwälte üben hier eine beratende Funktion aus. Dabei geht beispielsweise darum, was zu tun ist, damit Tiere nicht mehr als Sachen behandelt werden, es geht um Gesetze gegen die Ausbeutung von Tieren oder, wie in einem spanischen Dorf, um Tiere, die eigene Bürgerrechte als „nichtmenschliche Nachbarn“ erhalten. Die Familie Pegasus besucht viele Orte, wo Tiere in einer geschützten Umgebung leben dürfen, Oliver Kyr spricht mit den beteiligten Menschen, die sich meistens ehrenamtlich für ihre Ziele engagieren, und er zeigt dabei auch Tiere, die sich ganz offenkundig wohlfühlen. Auf abschreckende Bilder wird verzichtet, Gewalt gegen Tiere wird nicht gezeigt, lediglich ab und an sind die Spätfolgen von Misshandlungen und Vernachlässigung sichtbar: Eine Muttersau, die im Stall angekettet war, lernt wieder laufen, und ebenfalls sehr bewegend sind Bilder von mumifizierten Schafen, die von der Gleichgültigkeit ihres Besitzers zeugen, der sie zum Sterben zurückließ. Die Aufnahmen sind dabei so gestaltet, dass auch jüngere Kinder den Film ansehen können.
 
Hin und wieder werden die locker aneinandergereihten Interviews unterbrochen von Spots in Form von alten Filmaufnahmen, die eine kurze Geschichte der gestörten Beziehung zwischen Mensch und Tier erzählen. Als Stimme der Tiere agiert die junge Schauspielerin Bella Krieger, die immer wieder Fragen stellt, deren Beantwortung Oliver Kyr übernimmt. Die ideologische Richtung in Form einer Kritik am anthropozentrischen Weltbild ist ganz offensichtlich, und zwar bei allen Beteiligten. Ob „Ärzte gegen Tierversuche“, PETA, die Tierschutzpartei, die Animals‘ Angels, die sich gegen Tiertransporte engagieren, oder internationale Organisationen wie „Ocean Care“ oder „Great Ape Project“, wo man sich dafür einsetzt, dass Menschenaffen Menschenrechte erhalten: Überall wird ganz eindeutig Partei zugunsten der Tiere ergriffen, und es wird deutlich, dass sich bald etwas ändern muss, konkret gesagt: Die Menschen sollten ihr Verhältnis zu den Tieren ändern, um selbst zu überleben. Denn der Fortbestand der Menschheit scheint nur möglich, wenn Mensch und Tier zueinander finden. Auch potenzielle Gründe für die Unterdrückung der Tiere durch den Menschen und Ansätze, dies zu ändern, werden erörtert.
 
Der optimistische, durchaus unterhaltsame Film könnte sein Publikum finden, vielleicht gerade wegen seiner offensichtlichen ideologischen und emotionalen Ausrichtung. Immer mehr Menschen in Deutschland engagieren sich für den Tierschutz und das Tierwohl, dabei sind die vorgestellten Denkansätze nicht nur interessant, sondern absolut diskussionswürdig. Und wer weiß: Vielleicht wird nach der Abschaffung der Sklaverei auch eines nicht allzu fernen Tages die Abschaffung der Tierausbeutung gefeiert werden.
 
Gaby Sikorski