Allein das man bei einem deutschen Film an besonders visuell beeindruckende Regisseure wie Jean-Pierre Jeunet oder Michel Gondry denken muss, deutet an, dass Erik Schmitts Langfilmdebüt „Cleo“ etwas besonders ist. Verspielt und voller Originalität erzählt er eine Liebesgeschichte in Berlin, die die Gegenwart der Metropole mit ihrer mystischen Vergangenheit vermischt.
Webseite: www.weltkino.de
Deutschland 2019
Regie: Erik Schmitt
Buch: Stefanie Ren, Erik Schmitt
Darsteller: Marlen Lohse, Jeremy Mockridge, Fabian Busch, Heiko Pinkowski, Max Mauff, Peter Meinhardt, Jean Pütz, Regine Zimmermann, Ben Münchow, Max Befort
Länge: 110 Minuten
Verleih: Weltkino
Kinostart: 25. Juli 2019
FILMKRITIK:
Cleos (Marleen Lohse) Leben begann mit dem Mauerfall: Am 9. November 1989 versuchte ihr Vater Bernd (Fabian Busch) seine hochschwangere Frau zum Krankenhaus zu fahren, doch im Trubel der Weltgeschichte blieb das Auto stecken und Bernd musste eine Entscheidung treffen. Die Mutter starb, Cleo lebte und versteckte ihr Herz fortan hinter einer eigenen Mauer.
Gefühle zu echten Menschen ließ sie nicht zu, erst recht nicht, nachdem auch ihr Vater gestorben war. So pflegte sie vor allem Kontakte zu imaginären Freunden aus der Berliner Vergangenheit, von Albert Einstein über Max Planck bis zu Marlene Dietrich. Besonders faszinieren sie aber die Gebrüder Sass, berühmte Einbrecher aus den 20er Jahren, und ihr legendärer Schatz. Denn zu diesem Schatz soll auch eine Uhr gehören, mit der man die Zeit zurückdrehen kann.
Als Stadtführerin kennt sich Cleo ziemlich gut aus, doch erst mit der Hilfe des umtriebigen Paul (Jeremy Mockridge) beginnt ihre Schatzsuche Form anzunehmen. Denn Paul ist im Besitz einer Schatzkarte, die scheinbar endlich den Weg zum Schatz der Gebrüder Sass offenbart, und damit zur Möglichkeit für Cleo, ihr Schicksal zu ändern.
Zahlreiche Kurzfilme wie „Nashorn im Galopp“, „Telekommando“ oder „Berlin Metanoia“ hat der aus Mainz stammende Erik Schmitt in den letzten Jahren gedreht und damit hunderte Preise auf Festivals in aller Welt gewonnen. Kein Wunder, sprühen die kurzen Stücke doch vor visuellem Einfallsreichtum, arbeiten mit Stop-Motion-Tricks, Perspektivverschiebungen und vielen anderen, vor allem handgemachten Stilmitteln. Dazu noch strahlende Menschen – auch in den Kurzfilmen schon oft Marleen Lohse – und Musik, die irgendwo zwischen Lebensfreude und Melancholie angesiedelt war. Mehr als deutlich war, dass Schmitt Filme wie „Die fabelhafte Welt der Amélie“, „The Science of Sleep“ oder „Be Kind Rewind“ gut studiert hatte.
Beim Sprung vom Kurz- zum Langfilm bestand nun die Gefahr, sich allzu sehr auf die visuellen Spielereien zu verlassen und dabei die Geschichte zu vernachlässigen. Doch zum Glück hat Schmitt zusammen mit Stefanie Ren ein Drehbuch geschrieben, das nicht nur auf visuelle Einfälle baut, sondern auf originelle Weise die Magie von Berlin beschwört. Tief in die Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner taucht Cleo auf ihrer Schatzsuche ein, bewegt sich zwischen markanten Orten wie der Oberbaumbrücke und dem Teufelsberg, vor allem aber in der Phantasie von Cleo und Paul.
Berühmte Berliner treffen die beiden, die in ein wenig an alte Fernsehbilder erinnerndem schwarz-weiß getaucht sind und den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart schlagen. Denn erst wenn Cleo ihre nostalgische Weltsicht ablegt und akzeptiert, dass sie die Vergangenheit nicht ändern kann, ist es ihr möglich, in der Gegenwart zu leben. Mit welchem Witz, Einfallsreichtum und Emotionen diese Geschichte inszeniert, zählt zu den originellsten, ungewöhnlichsten deutschen Filmen der jüngeren Vergangenheit.
Michael Meyns