Coco Chanel & Igor Stravinsky

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Das Biopic der besonderen Sorte: Der französischen Designerin und dem russischen Komponisten nähert sich Regisseur Jan Kounen in einem Sommer voller erotischer Geheimnisse, der die beiden Künstler für kurze Zeit zusammenschweißt. Mit überragenden Darstellern (Anna Mouglalis, Mads Mikkelsen) setzt der Filmemacher den beiden Visionären ein würdiges Denkmal, seziert aber primär die Macht der Erotik, statt die Eckdaten des jeweiligen Schaffens abzuarbeiten.

Webseite: www.chanelstravinsky.de

Regie: Jan Kounen
Drehbuch: Chris Greenhalgh (basierend auf der Romanvorlage „Coco And Igor“, ebenfalls von Chris Greenhalgh)
Darsteller: Anna Mouglalis, Mads Mikkelsen, Elena Morozowa, Natacha Lindinger, Grigori Manoukov, Rasha Bukvic, Nicolas Vaude, Anatole Taubman, Maxime Danielou
Länge: 120 Minuten
Verleih: PA CO / 24Bilder
Kinostart: 15.4.2010

PRESSESTIMMEN:

Die Französin Anna Mouglalis ist als Chanel eine elegante Schwärmerin, der Däne Mads Mikkelsen ein wild zergrübeltes Musikgenie. Im Übrigen präsentiert sich der ungemein luxuriös, doch ein wenig schwerfällig in Art-déco-Kleidern und -Räumen schwelgende Film als Prestigestück gesamteuropäischen Kulturkinos.
DER SPIEGEL

FILMKRITIK:

Paris, 1913: Im Théâtre des Champs-Èlysées findet die Uraufführung von Igor Stravinskys Ballett „Le sacre du printemps“ statt. Im Saal kommt es nach wenigen Minuten zu tumultartigen Szenen, weil das Publikum nicht vorbereitet ist auf die anspruchsvollen und revolutionären Klangmuster voller Dissonanzen. Sogar die Gendarmerie muss das verwöhnte und aufgebrachte Premieren-Publikum zähmen, die den russischen Komponisten mit den gemeinsten Flüchen beschimpfen. Stravinskys Vorstellung ist nicht nur ein Affront – sie wird zu einem der größten Theaterskandale des 20. Jahrhunderts. Nur wenige Zuschauer erkennen in dem Stück wahre Größe und Vision. Einen von ihnen: Coco Chanel.

In der Flut von Biopics, die stets ein ganzes Künstler-Leben in viel zu kurze zwei Stunden Kinounterhaltung zu pressen versuchen, wählt der holländische Regisseur Jan Kounen („39,90“) den eleganteren Weg: Er erzählt vom Sommer 1920, als die etablierte französische Mode-Designerin Chanel (Anna Mouglalis) sieben Jahre nach der Premiere den radikalen und visionären Komponisten (Mads Mikkelsen) mitsamt Frau und Kindern in ihrem Pariser Vorstadthaus in Garches aufnimmt. Zwischen den beiden Künstlerseelen bahnt sich eine subtile, aber unaufhaltbare Affäre an, die sich nach und nach zu einem erotischen Machtspiel hochstilisiert, das die beiden extremen Persönlichkeiten charakterisiert. Auf der einen Seite die kühle Arroganz und Extrovertiertheit der Selfmade-Frau, auf der anderen die bröckelnde Zurückhaltung des besessenen und introvertierten Musikers.

Historische Eckdaten wie Chanels Entwicklung ihres berühmten Parfüms „No. 5“ werden allenfalls touchiert, sie stehen keineswegs im Zentrum der Handlung. Viel mehr wird hier der Sog der Erotik analysiert, wenn Chanel und Stravinsky statt süßlicher Worte lieber mittels kühler Blicke miteinander ihr Verlangen beichten und sich sexuelle Spannung auflädt wie die lauernde Wahrheit am Ende eines Suspense-Thrillers. Der Drang nach künstlerischem Ausdruck und Fleischeslust obsiegt hier über Moral und Anstand – ein Grund, warum Chanel und Stravinsky stets nach purem Instinkt und Kalkül handelten. Und damit zu zeitlosen Persönlichkeiten wurden.

Chanel-Fans werden sich an dem Film nicht satt sehen können, denn ihrem geschulten Blick wird nicht entgehen, dass Hauptdarstellerin Anna Mouglalis mit Originalkleidern und –Accessoires ausgestattet wurde. Sogar Karl Lagerfeld gab sich die Ehre und schneiderte ein Abendkleid für den Film.

David Siems

1913. Im Théatre des Champs Elysées zu Paris wird Igor Stravinskys Ballett „Le Sacre du Printemps“ uraufgeführt. Die Vorstellung ist kraftvoll, das Ballett originell choreographiert. Doch die Musik ist zwangsläufig modern. Zu modern. Das wenig fortschrittliche bürgerliche Auditorium ist unfähig, damit etwas anzufangen. Es gibt nicht nur Buhrufe, sondern regelrechte Tumulte.

Unter den Zuhörern auch die Modedesignerin Coco Chanel. Sie ist fasziniert. Stravinsky allerdings ist wegen dieses Misserfolges am Boden zerstört.

Einige Jahre später treffen sich die beiden. Stravinsky, der russische Emigrant, lebt in ärmlichen Verhältnissen. Coco Chanel, die es zu etwas gebracht hat, bereits erfolgreich, berühmt und gefeiert ist, bietet dem Komponisten an, in ihr feudales Landhaus zu ziehen, um dort in Ruhe arbeiten zu können. Nach einigem Zögern nimmt Stravinsky an. Mit seiner (lungenkranken) Frau und den vier Kindern zieht er ein.

Es dauert nicht lange, bis zwischen dem Komponisten und der Modedesignerin eine leidenschaftliche Beziehung besteht. Im Film wird sie trotz aller Passion als eher schwierig, kühl, zeitweise unterbrochen und insgesamt kompliziert dargestellt. Stravinsky wirkt passiv und verklemmt, die führende Rolle hat hier Coco Chanel inne. Was sich in Wirklichkeit abspielte, ist wohl nicht genau nachvollziehbar.

Stravinskys Frau leidet und gibt schließlich auf. Sie wird mit den Kindern – zumindest für eine gewisse Zeit – fortziehen.

Aber auch das Verhältnis zwischen den beiden Liebenden scheint zeitlich ziemlich begrenzt gewesen zu sein.

Der Film hat einen furiosen, sehenswerten Auftakt, wird aber dann zunehmend ruhiger, undramatischer, sogar flacher. Immerhin bietet er neben der Liebesgeschichte ein brauchbares Bild der Epoche. Darstellerisch die bestimmende Rolle hat Anna Mouglalis als die schillernde Coco, während Mads Mikkelsen den bedeutenden Komponisten Stravinsky zu passiv wiedergibt – man kennt ihn ja sonst als erstklassigen Schauspieler.

Ein interessantes Zeitbild und eine problematische Liebe zweier Berühmtheiten.

Thomas Engel