Colonia Dignidad

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Oscar-Preisträger Florian Gallenberger wagt sich an das hierzulande arg vernachlässigte Genre des Polit-Thrillers. Mit internationaler Starbesetzung von Daniel Brühl über Emma Watson bis Michael Nyquist erzählt er von einem düsteren Kapitel der jüngeren Geschichte. Im Chile der 70er Jahre führt die Sekte des perfiden Predigers Paul Schäfer ein Schreckensregime in der „Colonia Dignidad“. Man kungelt mit Diktator Pinochet, erhält diskrete Unterstützung deutscher Diplomaten. Als der junge Fotograf Daniel in das Lager verschleppt wird, tritt seine Freundin der Sekte bei, um ihn zu befreien. Temporeich erzählt, mit reichlich Spannungselementen sowie plausiblem Figurenkabinett ausgestattet, gelingt ein unterhaltsamer Polit-Thriller in bester Genre-Tradition und mit brisantem Inhalt: Die Rolle der damaligen deutschen Außenpolitik ist bis heute nicht aufgearbeitet.

Webseite: www.coloniadignidad.de
Facebook: facebook.de/coloniadignidad

D, Luxemburg, Frankreich 2015
Regie: Florian Gallenberger
Darsteller: Daniel Brühl, Emma Watson, Michael Nyquist, Vicky Krieps, Richenda Carey
Filmlänge: 110 Minuten
Verleih: Majestic
Kinostart neu: 18. Februar 2016

FILMKRITIK:

Für die brave Lufthansa-Stewardess Lena (Emma Watson) bringt die Fahrt im Crew-Bus nach der Landung in Santiago de Chile eine hübsche Überraschung. Mitten in der Menschenmasse einer Demonstration für Präsident Allende entdeckt sie ihren deutschen Freund Daniel (Daniel Brühl), der die Revolutionäre mit seinen Plakatentwürfen unterstützt. Der hitzigen Wiedersehensfeier folgt der Schock. General Pinochet hat in einem Militärputsch die Macht an sich gerissen. Im Chaos auf den Straßen wird das Pärchen verhaftet und in das berüchtigte Stadion verbracht. Nachdem dort ein Spitzel den Deutschen als Sympathisanten von Allende denunziert, karrt ihn die Geheimpolizei in einen gut getarnten Folterkeller auf dem abgeschirmten Gelände der Sekte „Colonia Dignidad“. Lena, die aus dem Stadion entlassen wird, meldet sich in ihrer Verzweiflung als Mitglied der Sekte an, um ihren Freund zu suchen. Was zunächst nach einer harmlosen religiösen Vereinung aussieht, entpuppt sich schnell als rigoroses Arbeitslager, das mit Gehirnwäsche und ständigen Schikanen die Mitglieder drangsaliert. Der selbstgefällige Sekten-Gründer Paul Schäfer (Michael Nyquist) erweist sich als ebenso brutal wie perfide. Für die Folterknechte des Regimes auf seinem Gelände hat er nur Spott übrig: „Jeder kann foltern. Die Kunst besteht darin, dabei keine Spuren zu hinterlassen“, rühmt er sich und seinen Psychoterror. Gönnerhaft nimmt Schäfer den schwer verletzten Daniel, gleichsam als Versuchskaninchen, in seiner Sekte auf. Diesem bleibt nach den Elektroschock-Torturen nur eine Überlebenschance: Er muss den hirngeschädigten Idioten geben, um als vermeintlicher Narr für die Geheimpolizei wertlos und in der Sekte geduldet zu sein. Von der Anwesenheit seiner Freundin wird Daniel erst später erfahren. Als die beiden sich schließlich begegnen, gelingt ihnen eine höchst abenteuerliche Flucht aus dem Ort des Grauens. Mit letzter Kraft schafft es das Paar in die deutsche Botschaft. Die Arme der korrupten Sekten-Krake reichen freilich bis in die höchsten diplomatischen Kreise.
 
Wie es sich für einen guten Thriller gehört, legt die Dramaturgie ein rasantes Tempo vor und präsentiert reichlich Spannungsmomente der gelungenen Art. „Harry Potter“-Star Emma Watson mag bisweilen etwas blass erscheinen, umso intensiver fällt (mittlerweile fast kaum noch erwähnenswert!) die Leistung von Daniel Brühl aus, der das Spektrum vom lässigen Revoluzzer zum verzweifelten Folteroper und wieder zurück zum Widerständler mit spielerischer Leichtigkeit beherrscht. Die dankbare Rolle des perfiden Psychopathen ist für Michael Nyquist, den Star der „Verblendung“-Trilogie, ein gefundenes Fressen, das er genüsslich zelebriert. Als Entdeckung erweist sich die hierzulande unbekannte Britin Richenda Carey, die die sadistische Aufseherin Gisela mit Furcht einflößender Eiseskälte gibt. Für ein kleines Promi-Cameo ist gleichfalls gesorgt: Dazu muss man bei der Szene auf dem Tower allerdings etwas genauer hinsehen!
 
Regisseur und Koautor Florian Gallenberger hat für seinen Polit-Thriller intensiv recherchiert und mit Zeitzeugen geredet. Die Story mit dem deutschen Liebespärchen samt dessen Flucht dank eines tollkühnen Lufthansa-Piloten ist zwar frei erfunden, abgesehen von dieser dramaturgisch notwendigen Fiktion beruht das Szenario jedoch auf wahren Begebenheiten. Sei es die erschreckende Hörigkeit der Sektenmitglieder, die dem Guru willenlos hörig sind. Sei es der regelmäßige Missbrauch der Kinder durch den selbsternannten Religionsführer oder seine lukrativen Waffengeschäfte mit dem Pinochet-Regime. Von besonderer Brisanz erweist sich die damalige Rolle der deutschen Botschaft in Santiago, zu der die Sekte offensichtlich beste Beziehungen unterhielt. Bis heute unterliegen die Akten der Geheimhaltung, was nach diesem Film für Diskussionen sorgen dürfte – für einen Polit-Thriller wäre das die höchste Ehre!
 
Dieter Oßwald