Couscous mit Fisch

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In seinem neuen Film zeigt Abdel Kechiche das Leben einer maghrebinischen Großfamilie in einem kleinen Hafenstädtchen im Süden Frankreichs. In langsamen Einstellungen führt er uns in den Mikrokosmos dieser Gemeinschaft ein, die genauso mit den modernen Geistern wie Arbeitslosigkeit und Integration zu kämpfen hat, wie wir das auch hierzulande kennen. Kechiche klagt nicht an und stellt keine Forderungen, er sieht nur genau hin. So gelingt ihm ein Porträt dieser Menschen, das von viel Humor und menschlicher Wärme geprägt ist. Das hat wohl auch die Jury der letzten Filmfestspiele in Venedig so gesehen und ihn mit ihrem Spezialpreis ausgezeichnet.

Webseite: www.arsenalfilm.de

Frankreich 2007
Regie: Abdel Kechiche
Darsteller: Mohamed Benabdeslem, Farida Benkhetache, Habib Boufares, Leila D'Issernio, Cyril Favre, Carole Franck, Hafsia Herzi, Alice Houri, Bruno Lochet u.a
Länge: 151 Min.
Kinostart: 4.9.2008
Verleih: Arsenal

Spezialpreis der Jury, Filmfest Venedig 2007

PRESSESTIMMEN:

Ein ebenso unterhaltsamer wie intellektueller Film, der sein Sujet realistisch, aber mit spürbarer Zuneigung angeht. - Sehenswert.
film-dienst

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FILMKRITIK:

Es ist schon bewundernswert, mit welcher Selbstsicherheit Abdel Kechiche in seinem neuen Film mit der Zeit umgeht. Er erzählt von Slimane, einem maghrebinischen Einwander, der in einem kleinen Hafenstädtchen im Süden Frankreichs bereits seit 35 Jahren arbeitet. Doch Slimane geht es zunehmend schlechter und seiner Werft auch. Während ihm die Arbeit nicht mehr so leicht von der Hand geht wie früher, kämpft die Werft um ihr Überleben. Fehlende Aufträge müssen mit Kostensenkungen und Rentabilitätsmaßnahmen ausgeglichen werden. Der Druck auf Slimane steigt, und sein Chef sagt es ihm nur ungern, doch seine Arbeit ist nicht mehr rentabel, er kann sich ihn nicht mehr leisten. Er bietet ihm eine Abfindung an, doch was in Slimanes Kopf vorgeht, erfahren wir nicht, jedenfalls nicht von ihm, denn er spricht nur selten mehr als einen kurzen Satz. Also haftet sich die Kamera an die Fersen des Arbeitslosen und stellt uns seine große Familie vor: Da ist zunächst seine Ex-Frau, die endlich Geld von ihm sehen will und nicht immer nur die Fische, die er mitbringt. Seine Schwiegertochter findet, dass er ihre Tochter, sein Enkelkind, verhätschelt und sich zu sehr in die Erziehung einmischt. Seine andere Schwiegertochter lässt ihren Frust an ihm aus, weil sein Sohn mal wieder fremd gegangen ist. 

Überall wo Slimane hinkommt, gibt es Ärger und dennoch sitzen am Abend alle gemeinsam am Tisch und essen Couscous mit Fisch, ihr Leibgericht. Alle sind in der engen Hochhauswohnung versammelt, das halbe Dutzend Kinder, die Frau, die Schwiegersöhne und -töchter, die Enkelkinder, die Tanten und die Onkel. Alle lieben und loben das Essen, reden auf Französisch wild durcheinander, streiten sich oder reden von Gott und der Welt. Ganz normaler Familienalltag? Nicht ganz, denn einer fehlt. Slimane ist längst weiter gezogen. Er lebt von seiner Frau getrennt und hat Unterschlupf bei einer Hotelwirtin gefunden, was seine Söhne nicht daran hindert, ihm eine ordentliche Portion Couscous ins Hotel zu bringen.

Hier bei seiner neuen Gefährtin findet er die Ruhe und Harmonie, die er zu Hause nicht hat und besonders freundschaftlich ist sein Verhältnis zu deren Tochter Rym, mit der er Pläne für die Zukunft schmiedet. Und allmählich ergibt sich so etwas ähnliches wie ein Plot: Slimane will seine Abfindung nutzen, um einen alten Kahn in ein Restaurant umzuwandeln. Zusammen mit Rym macht er sich auf, den Hindernispark auszuloten, den sich die französischen Behörden im Falle von so viel Eigeninitiative haben einfallen lassen. Die Bank verweist auf die behördlichen Auflagen und verlangt eine Machbarkeitsstudie von einem anerkannten Wirtschaftsprüfer, Ordnungsamt, Gesundheitsamt und Bauaufsicht, wollen erst einmal die Genehmigung für einen Liegeplatz sehen, während das Rathaus zunächst die Auflagen der Ämter erfüllt sehen will. Doch Slimane lässt sich von diesem behördlichen Ping Pong-Spiel nicht beieindrucken und stellt bald fest, dass je aussichtloser das Unterfangen scheint, die Solidarität in der Familie und seinem Freundeskreis wächst. Die Zeit des Jammerns und Rumlamentierens scheint vorbei und jeder trägt sein Scherflein dazu bei, dass Slimanes Idee von einem großen Fest auf dem Kahn, bei dem alle Skeptiker eingeladen und überzeugt werden sollen, auch aufgeht.

Kechiche wirft einen genauen Blick auf eine Gemeinschaft von Einwanderern, die seit Jahrzehnten in zweiter und dritter Generation hier lebt, aber immer noch nicht zur französischen Gesellschaft dazu gehören. Als billige Arbeitskräfte für unattraktive Arbeitsplätze sind sie gut, doch einen Platz in der Gesellschaft will man ihnen nicht zugestehen. Eine Situation, wie man sie wohl auch in Deutschland kennt. Kechiche erzählt hiervon nicht mit vorwurfsvollem Blick und die Migranten stellen auch keine Forderungen. Vielmehr weiß er die ausweglose Situation in eine warmherzige Komödie zu verpacken, deren Tempo zwar untypisch langsam ist, dafür aber viel näher an seine Protagonisten heranführt.
Kalle Somnitz

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Slimane ist Franzose, aber tunesischer Herkunft. Er repariert Boote in Sète an der französischen Rivieraküste. Er ist älter geworden, man deutet ihm an, er solle bald aufhören.

Doch er hat noch einen Plan, einen Traum. Auf einem Boot im Hafen möchte er ein Couscous-Restaurant betreiben. Er ist zwar von seiner Frau geschieden, doch die Familie ist im Wesentlichen noch intakt. Der Sohn, die Tochter, Slimanes Geliebte, die Tochter der Geliebten, die Schwiegertochter, die Ex-Frau, sie sind ja alle gegenwärtig, wenn auch manchmal streitbar oder unzuverlässig, sie sind Teil von Slimanes Leben, sie sind zur Einweihung des Bootsrestaurants einsetzbar.

Der künftige Restaurantinhaber tut sich mit den Behörden ebenso schwer wie mit der möglichen Konkurrenz. Aber dann sind die Vorbereitungen getroffen, der Eröffnungsabend steht bevor. Keines der Familienmitglieder hat sich versagt, es sind ja so viele wichtige Gäste geladen. 

Aperitifs, Vorspeisen, Warten auf den Couscous. Doch oh weh, der Sohn, der sich mal schnell zu seiner Freundin geschlichen hat, nahm einen wichtigen Bestandteil des Essens in seinem Auto mit. Katastrophe. Die Ex-Frau, die das Verschwundene ersetzen müsste, ist ebenfalls nicht erreichbar, sie bringt einem Obdachlosen etwas zu futtern. Wenn jetzt Slimanes Freundin nicht einspringt und deren Tochter nicht mit einem Bauchtanz, der sich gewaschen hat, die Geladenen hinhält, ist das Fest gelaufen.

Eine ganze Reihe von Themen taucht hier auf: die Integration; die Diskriminierung Fremder; der Wunsch eines Älteren, nach dem Arbeitsleben noch eine sinnvolle Existenz zu haben oder einem Hobby zu frönen; der Zusammenhalt einer großen Familie, der letztlich gilt und über allem steht, wenn er auch durch Scheidung, Verhältnis mit einer Geliebten, Seitensprung des Sohnes, Streit oder Zornesausbruch der Schwiegertochter auf äußerst harte Proben gestellt wird.

Daneben ist der Stil dieses Films sehr wichtig. Alles läuft eins zu eins ab, echt, unverfälscht, alltäglich – und weitgehend sympathisch.

Thomas Engel