Cranko

Biopics laufen einem gewissen Muster ab – entweder sie versuchen, ein ganzes Leben nachzuzeichnen, oder sie konzentrieren sich auf eine bestimmte Periode im Leben eines Menschen. Letzteres gilt für „Cranko“, denn der Film setzt in den Sechzigerjahren ein, als der Choreograph John Cranko wegen seiner Homosexualität England verließ und nach Stuttgart kam, um das dortige Ballett zu Weltruhm zu führen. Brillant in der Hauptrolle: Sam Riley.

Webseite: https://port-prince.de/

Deutschland 2024
Regie: Joachim A. Lang
Buch: Joachim A. Lang
Darsteller: Joachim A. Lang

Länge: 133 Minuten
Verleih: Port Au Prince Pictures
Kinostart: 26. September 2024

FILMKRITIK:

In den frühen Sechzigerjahren kommt der Choreograph John Cranko in der schwäbischen Provinz an. Noch ahnt er nicht, dass sich dort für ihn alles verändern wird. Er soll als Gast das Stuttgarter Ballett choreographieren, erhält aber schon bald die Chance, langfristig mit der Kompanie zu arbeiten und sie auf ein Niveau zu bringen, das zur Weltspitze gehört. In Deutschland blüht Cranko auf, nachdem er in England wegen seiner Homosexualität gedemütigt und mit einem Arbeitsverbot bedacht wurde. Als neuer Ballettdirektor wird er zum Liebling des Publikums. Er gibt sich der Kunst, aber auch dem Rausch des Lebens hin. Der Höhepunkt seiner Karriere kommt, doch just in dem Moment stirbt er zu jung und unerwartet.

Im Taxi erzählt der Fahrer, dass er mit Ballett nichts anfangen kann. Dass er es nicht versteht. Cranko wiederum erklärt ihm, worum es geht, um die Liebe und das Menschsein, und das ist universell verstehbar. Das Ballett spricht auf jeden auf seine ganz eigene Art und Weise. Diesem Credo folgt Cranko im Verlauf des Films. Er ist ein Künstler im besten Sinne, ein beseelter Mann, der von seiner Passion getrieben wird, für den Ballett nicht nur Leidenschaft, sondern Obsession ist. Der Film versteht es, dem Ausdruck zu verleihen. Er porträtiert Cranko als einen getriebenen Lebemann und Künstler, der seiner Zeit voraus war.

Ein Ballettfilm braucht natürlich auch Ballettszenen, die berauschend und mitreißend inszeniert sind. Kameramann Philipp Sichler fängt die Bilder betörend ein, als ob die Kamera zu einem weiteren Tänzer würde, und der Zuschauer sich mit ihr inmitten des Ensembles wiederfindet. Das ist das Betörende an „Cranko“, aber auch das Drama reißt mit, weil er eine Liebe lebte, die damals verpönt war. Der Film zeigt so auch, wie die Ablehnung auf eine fragile Seele wirkt. Wie sie nachwirkt, wie sie ihn aber auch zu neuem künstlerischem Ausdruck drängt.

„Cranko“ ist nicht nur das filmische Porträt eines Künstlers, der Film ist auch eine gesellschaftliche Bestandsaufnahme des Landes in den Sechzigerjahren, in denen ein Stück über die Gräuel von Ausschwitz noch dazu führte, dass der Regisseur als Volksverräter geschmäht wurde.

Dies ist sehenswertes Kino, emotional packend, mitreißend, in seinen Bildern verzaubernd, aber nie romantisierend. Und über allem thront Sam Riley mit der vielleicht besten Darstellung seiner Karriere.

 

Peter Osteried