Im bayerischen Wald, am Fuß der Alpen, spielt Tilman Singers Film „Cuckoo“, der mit den Motiven und Klischees der deutschen Mythologie spielt und diese mit den Tropen des Horror-Thrillers durch vermischt. Anfangs noch mit einer gewissen Spannung, die zunehmend von einer konfusen Handlung verdrängt wird, so dass am Ende vor allem Bild und Ton fesseln.
Deutschland/ USA 2024
Regie & Buch: Tilman Singer
Darsteller: Hunter Schafer, Jessica Henwick, Dan Stevens, Marton Csokas, Greta Fernández, Mila Lieu
Länge: 102 Minuten
Verleih: Weltkino
Kinostart: 18. Juli 2024
FILMKRITIK:
Gretchen (Hunter Schafer) hat vor kurzem ihre Mutter verloren und ist muss nun beim Vater Luis (Marton Csokas), dessen neuer Frau Beth (Jessica Henwick) und deren gemeinsamer kleinen Tochter Alma (Mila Lieu) leben. Die spricht nicht und neigt zu epileptischen Anfällen, vielleicht auch ein Grund, warum die aus der Notwendigkeit entstandene Familie an den Fuß der bayerischen Alpen zieht.
Hauptgrund ist allerdings der Gastgeber Herr König (Dan Stevens), der ein etwas verfallenes Hotel namens „Alpschatten“ führt, aber noch andere, finsterere Projekte finanziert. In einem nahegelegenen Krankenhaus etwa forscht Dr. Bonomo (Proschat Madani) und verspricht auch Alma helfen zu können. Die wird bald von seltsamen Anfällen geschüttelt, die mit Gretchens Musik zu tun haben und bewirken, dass die Welt aus den Fugen gerät: In Schleifen bewegt sich Gretchen bald, erlebt Momente immer wieder und wieder, ein beängstigender Effekt, der ihr bald auch in Gegenwart eines blonden, in einen hellen Mantel gekleideten Wesen widerfährt, die ganz offensichtlich nichts Gutes im Sinn hat. Wie Gretchen vom angeblichen Kommissar Erik (Konrad Singer) erfährt, sind in letzter Zeit immer wieder Menschen ermordet worden, doch die Polizei agiert seltsam lethargisch.
Schon mit seinem Debütfilm „Luz“ wagte sich Tilman Singer an eine Genregeschichte, erzählte von einer jungen Frau, der ein Dämon auf den Fersen war. Nun also der Nachfolger, größtenteils auf Englisch gedreht, dennoch deutlich in den Tiefen der deutschen Mythologie verhaftet, zumindest in den zunehmend rareren Momenten, in denen „Cuckoo“ nachvollziehbar erzählt. Angesichts der Pläne des finsteren Herr König, der von einer besonderen Rasse schwadroniert, deren Kräfte gezüchtet werden müssen, liegt der Bezug zu den medizinischen „Experimenten“ der Nazis nahe, die sich hier mit dem Ur-Bild des deutschen Märchens, dem finsteren Wald und seinen Abgründen vermischt.
Doch mehr als im deutschen Märchen, scheinen Singers Inspirationsquellen beim amerikanischen und italienischen Genrekino zu liegen. Erinnert das Hotel mit seinen seltsamen Gästen und seiner Inneneinrichtung, die irgendwo zwischen 60er und 80er Jahre angesiedelt scheint, noch entfernt an David Lynchs skurrile Welten, mutet das grelle Farbdesign wie eine Hommage an das italienische Giallo an. Grelle, markante Breitwandbilder gelingen Singer und seinem Team hier, stimmungsvolle Momente, die vor allem dann Wirkung erzielen, wenn die Schauspieler stumm sind.
Denn auch bei der Besetzung scheint Singer vom Euro-Trash der 70er inspiriert gewesen zu sein, vielleicht war auch einfach das Geld zu knapp, um bessere Schauspieler zu engagieren. Aus diversen Ländern stammt die Besetzung, die dementsprechend meist in gebrochenem Englisch kommunizieren, während der angeblich deutsche Herr König, der vom Amerikaner Dan Stevens (bekannt aus „I’m your Man“) gespielt wird, kaum verständliches Deutsch spricht.
Was allerdings zunehmend unwichtig erscheint, denn nach einem verheißungsvollen Beginn, driftet die Geschichte zunehmend ins absurde ab, wird Sinn und Logik bald vollständig über Bord geworfen. Dass Singer ein stilistisch talentierter Regisseur ist, zeigt sich allerdings bis zum Ende: Trotz eines offensichtlich begrenzten Budgets gelingen ihm immer wieder starke Bilder, die zusammen mit einem markanten Sound-Design manche Schwäche des Drehbuchs übertünchen. Singers Weg ins internationale Kino scheint vorgezeichnet, als Visitenkarte seines Stilvermögens überzeugt „Cuckoo“ absolut, als kohärenter Film dagegen deutlich weniger.
Michael Meyns