Einerseits überraschend, andererseits auch geradezu offensichtlich war es, als zum Ende der Berlinale Mati Diops „Dahomey“ mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Überraschend, weil es ein nur 68 Minuten kurzer Dokumentarfilm ist, offensichtlich, weil er um die Themen Raubkunst und Restitution kreist. Was die französische Regisseurin dazu zu sagen hat ist zwar nicht unbedingt revolutionär, aber ohne Frage richtig und wichtig.
Dahomey
Frankreich 2024
Regie: Mati Diop
Dokumentarfilm
Länge: 68 Minuten
Verleih: MUBI
Kinostart: 24. Oktober 2024
FILMKRITIK:
1897 führten britische Truppen in Westafrika einen euphemistisch „Strafexpedition“ genannten Angriff gegen das westafrikanische Königreich Benin durch, vernichteten eine Kultur, mordeten und stahlen tausende Objekte. Diese sind inzwischen als Benin-Bronzen bekannt, finden sich in den berühmtesten Museen der Welt – der westlichen wohlgemerkt! –und sind zum Symbol der seit einigen Jahren immer intensiver geführten Diskussion um Raubkunst und ihre Restitution geworden.
Viele deutsche Museen haben sich entschlossen, die sich in ihrem Besitz befindlichen Benin-Bronzen komplett und ohne Bedingungen zurückzugeben, immerhin 26 Objekte führte auch der französische Staat zurück. Am 9. November 2023 traten sie nach 130 Jahren im Exil, quasi der Gefangenschaft, die Reise von Paris nach Cotonou an, der Hauptstadt von Benin.
Auf dieser Reise wurden sie begleitet von der französischen Regisseurin Mati Diop, deren Herkunft der Senegal ist, eine andere ehemalige französische Kolonie. Mit ihrem Spielfilm „Atlantique“ wurde Diop bekannt, nun hat sie einen Dokumentarfilm gedreht, der seine Form jedoch oft spielerisch auflöst, mystische, magische Elemente mit klassisch dokumentarischen Beobachtungen vermischt.
„Mein Name ist Nr. 26“ sagt eine dunkle Stimme aus dem Off zu Beginn. Wer da spricht ist eine der Statuen, die nach Benin zurückkehren, sie spricht einen Text von Makenzy Orcel, ein Schriftsteller aus Haiti, einem Staat in der Karibik, wo fast alle Einwohner Nachfahren von Sklaven sind, die einst aus Afrika in die neue Welt verschleppt wurden. Schon diese Hinweise deuten an, mit welcher Komplexität Mati Diop das Thema Restitution angeht, sich dabei auch auf den legendären Kurzfilm „Auch Statuen sterben“ bezieht, in dem sich Alain Resnais und Chris Marker 1953 auf ihre Weise, mit dezidiert weißem Blick, mit dem Thema Raubkunst beschäftigt haben.
Nach Jahren in Gefangenschaft sind die Statuen nun frei, aber eine der vielen Fragen, die Diop lose mitschwingen lässt lautet: Sind sie das wirklich? In Cotonou werden die Kunstwerke im Präsidentenpalast ausgestellt, eine Riege von Honoritäten und später auch Bürgern zieht an ihnen vorüber, bewundert sie. Und damit auch den Präsidenten von Benin, Patrice Talon? Diese Frage stellt zumindest einer der Teilnehmer einer Diskussion in den Raum, die Mati Diop organisiert hat. Vor allem junge Beniner kommen hier zu Wort, zeigen sich einerseits begeistert über die Rückführung der Kunstwerke, andererseits enttäuscht darüber, dass von mindestens 7000 gestohlenen Werken gerade einmal 26 restituiert wurden. Ist das nicht nur Symbolpolitik, mit der Politiker wie Emmanuel Macron ihr Image in der (westlichen) Öffentlichkeit aufpolieren wollen?
Das ist es zweifelsohne, aber eben doch auch viel mehr. In einigen der schönsten Momente des Films sieht man junge Beniner, Arbeiter mit Helm, die beim Aufbau der Statuen halfen, später Kinder, die die Kunstwerke begutachten: Mit großen Augen sehen sie die spektakulären, wunderbar gearbeiteten Figuren an, so als würden sie zum ersten Mal verstehen, welche großen Werke ihre Vorfahren geschaffen haben. In den Schulen, so heißt es während der Diskussion, wurde den Beninern oft nur gesagt, dass viele Dinge gestohlen wurden. Aber dass dies nicht einfach nur Dinge waren, sondern großartige Kunstwerke, die in wichtigen Museen der westlichen Welt ausgestellt und bewundert wurden, das wurde meist verschwiegen. Insofern wird Afrika mit der Restitution von Kunstwerken nach Benin, Nigeria, Kamerun und vielen anderen Ländern, auch ein Teil der eigenen Geschichte zurückgegeben. Wie sie damit umgehen wird eine interessante Frage sein, deren Antworten oft ambivalent ausfallen könnten, soviel deutet Mati Diop in ihrem zwar kurzen, aber reichen Dokumentarfilm „Dahomey“ pointiert an.
Michael Meyns