Der 2007 verstorbene Choreograf Maurice Béjart adaptierte Beethovens Neunte Sinfonie als energetische Ballettfassung, in der Tanz und Beethoven Hand in Hand gehen. Die spanische Regisseurin Arantxa Aguirre begleitete die Proben für eine Aufführung des Stücks in Japan über einen Zeitraum von neun Monaten. Ihr unterhaltsamer Dokumentarfilm „Dancing Beethoven“ porträtiert den Entstehungsprozess, verdeutlicht die mentalen wie körperlichen Belastungsproben, die die Akteure während der Vorbereitung durchleben, und funktioniert nicht zuletzt als Hommage an Maurice Béjart, Beethoven und die Kunst.
Spanien, Schweiz 2016
Regie & Drehbuch: Arantxa Aguirre
Mitwirkende: Malya Roman, Oscar Chacón, Julien Favreau, Zubin Mehta, Elisabeth Ros
Laufzeit: 80 Min.
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 13. April 2017
FILMKRITIK:
Die utopische Idee hinter Beethovens Neunter Sinfonie tritt besonders deutlich hervor, wenn ab dem vierten Satz ein Chor Schillers Gedicht „An die Freude“ anstimmt: „Freude, schöner Götterfunken (...) Seid umschlungen Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt!“ Der französische Tänzer und Choreograph Maurice Béjart (1927-2007) adaptierte Beethovens wohl berühmteste Sinfonie als aufwendige Ballettfassung, die 2014 in Tokio aufgeführt wurde. Als Leitmotiv umtanzen die Akteure aus Asien, Europa und Afrika einen großen Kreis auf der Bühne, der den Kreislauf des Lebens symbolisiert. Passend zur Botschaft kollaborierten Künstler aus allen Teilen der Welt, die Tänzer kommen vom Béjart-Ballett in Lausanne und vom Ballett aus Tokio, die Musik stimmt das Israelische Philharmonieorchester unter Leitung von Zubin Mehta an. Der Inhalt prägt hier nicht nur die Form, sondern schon den Herstellungsprozess.
Die 9-monatigen Proben in Lausanne, Tokio und am Genfer See begleitet Arantxa Aguirre im Wechsel der Jahreszeiten. Konzentrierte Beobachtungen der Proben und Interviews mit Tänzern, Choreographen und Kulturjournalisten zeichnen „Dancing Beethoven“ als kompetent erzählte dokumentarische Langzeitbeobachtung aus.
Einen besonderen Dreh bringt die Schauspielerin Malya Roman ein, die das Training erst schweigend beobachtet, um dann als vermeintliche Journalistin mit den Protagonisten zu sprechen. Bald ist Roman noch auf andere Weise involviert, was der Kulturdokumentation eine zusätzliche Bedeutungsebene verleiht. Abseits der erzählerisch klugen Anlage überzeugt „Dancing Beethoven“ mit einer stringenten Montage und eindrücklichen Aufnahmen, die etwa die schmucklosen Proben im Trainingsoutfit mit Bildern der feierlichen Premiere kombinieren, was zugleich die Stoßrichtung der Doku widerspiegelt.
Nebenbei thematisiert Aguirre den Konkurrenzkampf und hohen Leistungsdruck in der Ballettwelt. Eine Tänzerin kann erst später zur Probe erscheinen – gefeuert. Eine andere wird schwanger – raus. Eine dritte verletzt sich beim Tanzen – ersetzt. Wenn die Tänzerinnen und Tänzer schließlich vereint auf der Bühne stehen, münden die mitunter schwierigen Vorbereitungen in ein rauschhaftes Finale – und Beethovens Neunte findet in Tanz, Musik und Gesang einen sinnlichen Ausdruck.
Christian Horn