Das brandneue Testament

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Was für ein Spaß! Erfreulich inkorrekt in jeder Beziehung erzählt Jaco Van Dormael von einer eher untypischen Kleinfamilie. Sie besteht aus Gottvater, Gottmutter und Gotttochter Éa, die zehn Jahre alt ist und ihrem herrschsüchtigen, prolligen Daddy mal so richtig eins auswischen will. Sie will nicht mehr mitansehen, wie er die Menschheit mit Kriegen und Katastrophen quält. Deshalb haut sie von Zuhause ab, sammelt eigene Apostelinnen und Apostel um sich und beginnt damit, ein neues Neues Testament zu schreiben.
Das ist Arthouse Kino vom feinsten: einfallsreich und unterhaltsam, mit tollen Darstellern (darunter Benoît Poelvoorde und Catherine Deneuve), und oben drauf gibt’s – wenn man möchte – eine ordentliche Portion Tiefgang. Aber auch ohne philosophischen Touch ist die Komödie ein echter Kino-Leckerbissen: mit leichter Hand sehr unterhaltsam inszeniert und proppenvoll mit unfassbar guten Gags. Ein himmlisches Vergnügen!

Webseite: www.dasbrandneuetestament-derfilm.de

Originaltitel: Le tout nouveau testament
Belgien/Frankreich/Luxemburg 2015
Regie: Jaco Van Dormael
Drehbuch: Jaco Van Dormael und Thomas Gunzig
Kamera: Christophe Beaucarne
Darsteller: Pili Groyne, Benoît Poelvoorde, Yolande Moreau, Catherine Deneuve, François Damiens, Laura Verlinden
Verleih: NFP, Vertrieb: Filmwelt
Kinostart: 3. Dezember 2015

Pressestimmen:

"...seit Monty Pythons Messias-Farce 'Das Leben des Brian' gab es keine so witzige Satire über Religionen mehr - und wohl noch nie einen so bitterkomischen göttlichen Vater... Ein respektloser, befreiender Film. Gott sei Dank."
DER SPIEGEL

"Originelle Mischung aus skurriler Phantasie und bizarrer Komik... ...voller Witz und Gefühl.
...Ein vor Einfallsreichtum platzendes Märchen für Erwachsene, die wissen, dass das Leben viel zu kurz ist, um es nur mit Vernunft und Routine zu füllen...
Wer sich im Kino etwas wirklich Originelles gönnen möchte, ist hier ganz wunderbar aufgehoben."
ZDF

"...mag sich ketzerisch anhören, aber trotzdem ist die herrlich absurde Komödie ein zutiefst warmherziger und menschlicher Film."
Stern

FILMKRITIK:

Éa lebt mit Vater und Mutter in Brüssel, und sie findet alles ätzend. Der wichtigste Grund: Ihr Papa ist Gott, allerdings kein gütiger, älterer Herr mit einem gepflegten Vollbart, wie man meinen könnte, sondern ein miesepetriger, schlampiger Kerl, der den ganzen Tag im Bademantel am PC hockt, mit sadistischem Grinsen Katastrophen und Kriege anzettelt und die Menschheit mit immer neuen Geboten triezt. Mama ist auch keine große Hilfe: Sie lässt sich von ihrem Mann drangsalieren und träumt Éas großem Bruder JC hinterher. Nachdem es mal wieder zum Krach zwischen Vater und Tochter gekommen ist, beschließt Éa, zu den Menschen hinauszugehen. Sie möchte alles besser machen als ihr unfähiger Vater und plant, zusätzlich zu den bekannten zwölf Jüngern einige weitere anzuheuern, um gemeinsam mit ihnen Gutes zu tun. Doch vorher will sie Gott richtig fertigmachen – er soll genauso leiden wie die Menschen, die er so sadistisch quält. Schon bald findet sich eine günstige Gelegenheit: Éa knackt Papas PC und schickt per SMS allen Menschen ihren Todeszeitpunkt. Die Folgen sind ebenso unerwartet wie interessant. Das Mädchen nutzt die Verwirrung, sie verlässt die elterliche Wohnung durch den Geheimgang in der Waschmaschine, den seinerzeit schon ihr großer Bruder benutzt hat, und landet mitten im Zentrum Brüssels. Dort trifft sie den Clochard Victor. Er ist der einzige, der seinen Todeszeitpunkt nicht kennt, weil er kein Handy hat, und er wird zum Protokollanten des brandneuen Testaments, das nun Kapitel für Kapitel geschrieben wird. Éa schart ihre Apostelinnen und Apostel um sich, und Gott zieht auf der Suche nach seiner aufmüpfigen Tochter ebenfalls durch Brüssel, wobei er sich immer unbeliebter macht.
 
Wer jetzt denkt, dass sich das verhältnismäßig durchgeknallt anhört, liegt vollkommen richtig. Hier kommt tatsächlich eine absolut originelle und hochgradige, geradezu gottvoll komische Geschichte. Doch diese Story ist vollkommen durchdacht, logisch bis in die hintersten Eckchen der verzwickten Handlung, die auf einer ganz klaren Ansage beruht: Am Anfang schuf Gott Himmel, Erde und Brüssel. Das ist die Vorgabe für eine furiose Reise durch die Welt des christlichen Glaubens, der bekanntlich viel mit Liebe und Hoffnung zu tun hat. So trifft Jaco Van Dormael bei aller Respektlosigkeit und trotz gelegentlich hocherfreulicher Albernheit ziemlich gut den Kern des Christentums und damit auch jeder anderen Religion. Und überhaupt: Wenn Gott einen Sohn hat, warum soll er dann nicht auch Frau und Tochter haben?
 
Pili Groyne spielt die kleine Éa und verbindet in ihrer Rolle kindliche Offenheit mit zeitloser Weisheit. Der Qualitätsschauspieler und Hochkomiker Benoît Poelvoorde überzeugt in der Rolle Gottes als genervtes Menschheits- und Familienoberhaupt. Seine Frau spielt die komödiantische Yolande Moreau. Catherine Deneuve, die Grand Dame des französischen Kinos, überrascht als frustrierte Ehefrau mit originellen Neigungen. Jeder Topf findet hier sein Deckelchen, und jeder bekommt, was er verdient. Ganz unverhohlen und mit nur scheinbarer Naivität zeigt Jaco Van Dormael seine optimistische, märchenhafte Version von der Rettung der Welt, die letztlich auch jeden Atheisten überzeugen kann. Die Botschaft lautet: Ja, es ist möglich, dass wir alle einander achten, lieben und verstehen. Hier ist es die Bekanntgabe des Todeszeitpunkts, die dafür sorgt, dass die Menschen ihre Feindseligkeiten beenden und stattdessen beginnen, ihre Träume zu leben. Allen voran die 6 neuen Apostelinnen und Apostel, alle sind Loser oder sonst irgendwie gescheiterte Existenzen, die unter Éas sanfter Anleitung lernen, sich selbst und damit auch alle anderen zu mögen. Das mag ein bisschen schlicht klingen, aber es steckt mehr als ein Fünkchen Lebenswahrheit zwischen den zahllosen Haken schlagenden Gags, die dann doch auf direktem Weg ins optisch furiose Finale führen.
 
Der Film bringt alles mit für einen Arthouse-Hit – innovative Ideen, tolle Gags, virtuose optische Einfälle mit verblüffenden Special Effects und eine durchaus anspruchsvolle Thematik, die nicht nur äußerst amüsant ist, sondern auch für endlosen Gesprächsstoff nach dem Kinobesuch sorgen könnte. Hinzu kommt aber noch eine ganz besondere Wirkung, die das vergnügen in geradezu paradiesische Höhen steigert, denn DAS BRANDNEUE TESTAMENT sorgt einfach für göttlich gute Stimmung.
 
Gaby Sikorski