Das deutsche Volk

Fünf Jahre nach den rassistisch motivierten Morden von Hanau ist die Wut der Angehörigen immer noch groß. Vor allem auf den Staat, dem Polizeiversagen, mangelndes Mitgefühl, systemischer Rassismus vorgeworfen wird. Der polnische Regisseur Marcin Wierzchowski begann kurz nach dem Anschlag mit den Dreharbeiten zu „Das Deutsche Volk“, ein dezidiert subjektiver Film, der gerade daraus seine Kraft schöpft.

 

Über den Film

Originaltitel

Das deutsche Volk

Deutscher Titel

Das deutsche Volk

Produktionsland

DEU

Filmdauer

132 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Wierzchowski, Marcin

Verleih

Rise And Shine Cinema UG

Starttermin

04.09.2025

 

Im Herzen der hessischen Stadt Hanau liegt der Marktplatz in dessen Zentrum seit langem ein Denkmal für die berühmtesten Söhne der Stadt steht: Die Gebrüder Grimm. Am Sockel des Denkmals werden die Stifter des Denkmals genannt: Das Deutsche Volk. Nach dem 19. Februar 2020 wurde das Denkmal zu einem Gedenkort, an dem Blumen niedergelegt, Kerzen angezündet und die Fotos der neun Opfer des rassistischen Anschlags aufgestellt: Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin.

Unmittelbar nach dem Anschlag fuhr der in Frankfurt lebende Regisseur Marcin Wierzchowski nach Hanau – und kam im Lauf der Jahre immer wieder. Während sich der Blick der Öffentlichkeit auf die beginnende Corona-Pandemie und andere Themen richtete, baute Wierzchowski ein intimes Verhältnis zu etlichen Angehörigen der Opfer auf, gab ihnen eine Stimme, begleitete sie beim jahrelangen, mühsamen Versuch, Antworten zu bekommen.

Dass der Täter, der 43jährigeTobias Rathjen, sich nach den Morden das Leben nahm, verhinderte einen Prozess, denn gegen Tote wird in Deutschland nicht ermittelt. Diese Lücke, der dadurch erfolgte Mangel an Aufklärung, schmerzte die Angehörigen aus offensichtlichen Gründen und verstärkte die Konflikte, die auch Jahre später noch nicht geklärt sind. Erst durch den Druck der Angehörigen wurde ein Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag eingerichtet, der in akribischer Arbeit Zeugen und Gutachter anhörte und in einem über 700 Seiten Bericht ein differenziertes Urteil über den Anschlag, das Verhalten der Behörden und mögliche Versäumnisse vorlegte.

Besonders an diesen halten sich die Angehörigen fest, beklagen, dass die Notrufstelle der Polizei in der Tatnacht schwer zu erreichen war, dass ein Notausgang an einem der Tatorte verschlossen war, dass die Polizei zu spät am Tatort erschien. Ob das die Taten verhindert hätte? Kaum zu sagen. Klar erscheint jedoch, dass die Politik nach den Taten einmal mehr zu Phrasen und Worthülsen griff, ihr Entsetzen und Bedauern äußerte, aber ansonsten hilflos blieb.

Immer wieder zeigt Wierzchowski Sitzungen in Hanau, an denen Angehörige und Vertreter der Stadt teilnehmen, in denen es um Aufklärung und ein geplantes Denkmal für die Opfer geht. Heiße Emotionen und kühler Pragmatismus stoßen hier aufeinander und finden kaum zusammen. Nur auf dem Marktplatz, direkt neben dem Grimm-Denkmal soll das Denkmal für die Opfer aufgestellt werden, so fordern es zumindest manche der Angehörigen, ansonsten solle man es lieber gleich ganz sein lassen. Ein Großteil der Hanauer stimme zwar einem Denkmal zu, aber nicht an diesem Platz, hält der Bürgermeister entgegen, hat damit zwar vermutlich recht, unterschätzt aber auch die Wirkung, die der Anschlag hatte und die ein Denkmal an diesem zentralen Ort haben könnte.

Wer ist „Das Deutsche Volk“, das im Titel des Films, aber auch auf dem Grimm-Denkmal beschworen wird? Sieht ein Deutscher so aus wie der Bürgermeister von Hanau oder wie die Opfer? Der Bürgermeister heißt Claus Kaminsky, ein Name der deutlich darauf hinweist, dass auch seine Vorfahren einmal Migranten waren, ebenso wie die Opfer des Anschlags von Hanau, deren Namen Unvar, Kurtović, Hashemi, Păun, Kierpacz, Velkov, Saraçoğlu, Gürbüz und Gültekin für viele Müllers, Schmitz oder Schröders vielleicht noch ungewohnt klingen, aber deswegen nicht weniger Teil des deutschen Volkes sind.

 

Michael Meyns

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