Das freiwillige Jahr

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Wie ein verspäteter Berliner Schule-Film wirkt „Das freiwillige Jahr“, der in Zusammenarbeit zwischen Ulrich Köhler und Henner Winckler entstand. Typische Motive der einflussreichen Filmbewegung werden dabei variiert, von Erwachsenen, vor allem aber von Jugendlichen erzählt, nicht mit großer Geste, sondern in genau beobachteten Momenten.

Webseite: grandfilm.de

Deutschland 2019
Regie & Buch: Ulrich Köhler und Henner Winckler
Darsteller: Maj-Britt Klenke, Sebastian Rudolph, Thomas Schubert, Katrin Röver, Stefan Stern, Margarita Breitkreiz
Länge: 85 Minuten
Verleih: 6. Februar 2020
Kinostart: Grandfilm

FILMKRITIK:

So ganz freiwillig macht sich Jette (Maj-Britt Klenke) nicht auf in ihr freiwilliges Jahr in Costa Rica, das merkt man schnell. Es ist ihr Vater Urs (Sebastian Rudolph), der sich als Arzt auf dem Dorf unterfordert fühlt, sich für Höheres berufen hält, der seine entscheidungsschwache Tochter antreibt, endlich etwas zu machen, endlich einmal raus zu kommen.
 
Auf dem Weg zum Flughafen beginnt der Film, ein kurzer Halt beim Bruder will Urs noch einlegen, doch der macht nicht auf. Ein kurzer Bruch im Plan, der die Ereignisse in Gang setzt, die Ulrich Köhler und Henner Winckler in kaum 85 Minuten zeigen, sich abspielen lassen, distanziert beobachten.
 
Jettes Freund Mario (Thomas Schubert) taucht auf, eigentlich haben sie sich getrennt, aber nun, da Mario sie zum Flughafen bringt, nutzen die beiden noch nicht wirklich Erwachsenen den Moment, zu einem kurzen Ausbruch aus der Banalität ihrer Existenz. Mit dem Familienauto hauen sie ab, verbringen ein, zwei Tage auf der Flucht, aber Flucht ist schon ein viel zu großes Wort.
 
Viel zu groß ist auch Marios Verantwortungsgefühl, als das er fragende Text-Nachrichten der Eltern unbeantwortet lassen könnte, und auch wenn Jette dies zu emotionalen Ausbrüchen hinreißt, weiß auch sie in keinem Moment, wohin die Flucht führen könnte. So landen sie wieder in ihrem Kaff, das so grau und langweilig gefilmt ist, wie das Leben dort wohl ist.
 
Ohne besondere dramatische Zuspitzung erzählen Köhler und Winckler ihre Geschichte, beobachten nur, was ihre Figuren tun, wie sie sich im sehr engen Korsett ihrer Wesen bewegen, stets darum bemüht, anders zu sein, aber am Ende doch unfähig, sich aus ihrer Haut zu befreien.
 
Das ist klassisches Berliner Schule-Kino, diesmal sogar kleiner als üblich, in einem Film, der einer Etüde gleicht, einem Spiel mit Erzählmustern, einer Variation von Typen, wie sie Köhler zuletzt in seinem „In My Room“ durchgespielt hat, Winckler vor nun schon über zehn Jahren in seinem letzten Film „Lucy“.
 
Was das Duo besonders gut kann – das zeigen sie auch in dem kurzen, präzisen „Das freiwillige Jahr“ – ist Figuren zeichnen, nicht durch Worte, sondern durch genau beobachtetes Verhalten. Keine der drei Hauptfiguren ist dabei sonderlich sympathisch, niemand zeichnet sich durch besondere Fähigkeiten oder gar große Souveränität aus. Im Gegenteil. Dies sind komplexe Figuren, die zum Teil mit sich hadern, mit ihrem statischen Leben, aus dem sie ausbrechen wollen, ohne es zu können, sich zum Teil gut eingerichtet haben in einem konventionellen, konservativen, aber auch sicheren Leben, in dem es keine Überraschungen zu erwarten gibt.
 
Die größten Sympathien haben die Autoren dann wenig überraschend für die Jüngste, für die Unschuldigste des Trios, für Jette, die mit ihrer Unentschlossenheit, ihrer Gereiztheit zwar wie ein Prototyp ihrer Generation wirkt, die es am Ende aber als einzige schafft, sich von den Zwängen frei zu machen. Wohin ihr Weg führen wird, bleibt offen, „Das freiwillige Jahr“ endet wie er begonnen hat, mitten in der Bewegung, mitten in der Beobachtung eines Ausschnitts aus ganz gewöhnlichen Leben.
 
Michael Meyns