Das Haus der guten Geister

Zum Vergrößern klicken

Als Paradies für Kreative erscheint die Staatsoper Stuttgart in dieser Dokumentation. Die beiden Filmemacher Lillian Rosa und Marcus Richardt begleiten das gesamte Team durch Jossi Wielers letzte Saison als Intendant der Staatsoper Stuttgart. Doch man muss kein Opernfan sein, um zu erkennen, dass die Qualität dieses vollkommen unaufdringlichen Nischenfilms nicht nur darin liegt, die Arbeitsweise eines weltweit hoch geachteten Ensembles vorzustellen, sondern dass es hier auch um künstlerische Arbeit im Kontext von Politik und Gesellschaft geht.

Webseite: mindjazz-pictures.de

Dokumentarfilm
Deutschland/Schweiz 2019
Buch und Regie: Marcus Richardt & Lillian Rosa
Länge: 103 Minuten
Verleih: mindjazz pictures
Start eigentlich 5. November 2020, ab 10. Dezember 2020 online

FILMKRITIK:

Sieben Mal wurde die Staatsoper Stuttgart von der renommierten Zeitschrift „Opernwelt“ zum Opernhaus des Jahres gewählt, öfter als jedes andere Musiktheater im deutschsprachigen Raum. Wie solche Qualität entsteht, welchen Aufwand an Zeit, Aufwand, Personal und Kraft das kostet, davon erzählt der Dokumentarfilm von Marcus Richardt und Lillian Rosa, die dafür eine komplette Operninszenierung von den ersten Proben bis zur Premiere verfolgen. „Pique Dame“ von Tschaikowsky soll aufgeführt werden, und schon beim ersten Treffen der unterschiedlichen Gewerke wird deutlich, dass hier anders gearbeitet wird als an den meisten Opernhäusern. Es gibt wenig erkennbare hierarchische Strukturen, der Intendant und Regisseur Jossi Wieler mischt überall mit, und der allgemeine Umgangston ist freundlich und zugewandt, oft herrscht eine beinahe fröhliche Atmosphäre. Die „guten Geister“ aus dem Filmtitel, das sind all die fleißigen Helferinnen und Helfer auf, vor und hinter der Bühne. Bei den Sängerinnen und Sängern finden sich kaum große Namen – man verlässt sich auf ein zuverlässiges festes Ensemble. Während es mit dem Bau des Bühnenbildes und mit den Proben zu „Pique Dame“ gut vorangeht, stocken die Vorbereitungen für die Premiere von „Hänsel und Gretel“. Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov wurde unter fadenscheinigen Anschuldigungen in seiner Moskauer Wohnung verhaftet. Die Premiere steht in Frage, aber für das Stuttgarter Opernteam geht es auch darum, Stellung zu beziehen, sich mit dem Regisseur solidarisch zu erklären und für seine Freilassung zu kämpfen.

Kunst in einem Umfeld, das von politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht berührt wird, ist eines der beliebtesten konservativen Postulate. Aber eignet sich ein Elfenbeinturm überhaupt als idealer Aufenthaltsort für Kreative und Kunstschaffende? An diesem Theater ist eine eigene Meinung erwünscht, der Diskurs befeuert die künstlerische Auseinandersetzung mit zeitlosen Themen, die in einen aktuellen Kontext gestellt werden. So werden Hänsel und Gretel per Videoeinspielung zum afrikanischen Geschwisterpaar auf der Flucht nach Europa. Der Film zeigt, wie ein Opernensemble gemeinschaftliche Kreativprozesse bewältigt, ohne dass dabei die gesellschaftliche Verantwortung vernachlässigt wird. Auch wenn in den ersten 10 Minuten der Anschein entstehen könnte, es handele sich um einen gut gemachten Werbefilm über die Staatsoper Stuttgart: Dieser Eindruck verfliegt bald, denn tatsächlich werden hier intensive Einblicke in künstlerische Schaffensprozesse gewährt. Dabei wechseln sich beobachtende, stimmungsvolle Bildpassagen, die vorwiegend mit Musik aus den beiden genannten Opern unterlegt sind, mit Interviews, Werkstattszenen oder Proben ab. So entsteht ein Film, der Informationen und Stimmungsbilder zusammenführt und dabei ein wenig das Geheimnis um die Faszination der Oper lüftet. Jossi Wieler, der weltweit geachtete, sympathische Intendant und Regisseur steht dabei ein wenig mehr im Vordergrund als seine Mitstreiter. Es ist seine letzte Saison als Intendant, und vielen seiner Worte ist anzumerken, dass ihm der Abschied nicht leicht fallen wird. Doch in allem, was er sagt, zeigt sich seine Leidenschaft für die Kunst, mit der er nicht nur sein Ensemble, sondern auch das Kinopublikum mitreißt.

Gaby Sikorski