Die Dokumentation „Das innere Leuchten“ widmet sich dem Alltag von Menschen mit Demenz, einer der Volkskrankheiten überhaupt. Über ein Jahr hat Regisseur Stefan Sick dafür in einem Pflegeheim in Stuttgart-Kaltental gedreht. Sein feinsinniges, besonnen erzähltes Werk wagt einen poetischen Blick ins Innere einer für Außenstehende nur schwer zu begreifenden, vielschichtigen Erkrankung.
Webseite: www.dasinnereleuchten-film.de
Deutschland 2019
Regie & Drehbuch: Stefan Sick
Länge: 89 Minuten
Kinostart: 19. September 2019
Verleih: AMA Film
FILMKRITIK:
Sie gilt als eine der häufigsten Krankheiten im Alter und ihre Diagnose ist für die Betroffenen und Angehörigen stets ein schwer zu verkraftender Schock: die Demenz. Die Krankheit sorgt für einen allmählichen sowie immer weiter voranschreitenden Verlust der geistigen Fähigkeiten und kann den Alltag massiv beeinträchtigen. Eine der größten Herausforderungen dabei: die uneingeschränkte Akzeptanz der Demenz mit all ihren Auswirkungen. Stefan Sick beobachtet in seinem Film „Das innere Leuchten“, der in diesem Jahr auf der Berlinale Premiere feierte, das Leben von Erkrankten eines Stuttgarter Demenz-Zentrums.
„Das innere Leuchten“ ist der filmische Versuch, sich in das Innerste, also die subjektive Lebenswirklichkeit von Demenzkranken, hineinzuversetzen. Ein Unterfangen, das – zugegebenermaßen – schwierig umsetzbar klingt und zunächst herausfordernd anmutet, dem Ludwigsburger Filmemacher Sick aber dank einer feinfühligen Umsetzung und geduldigen Herangehensweise sehr gut gelingt. Sick nimmt sich dabei außerordentlich viel Zeit für die Beobachtung der Patienten, ohne das Geschehen zu kommentierten.
Oft minutenlang, ohne Schnitt und in nur einer Einstellung, ist die Kamera auf die Personen, die an dieser nach wie vor unheilbaren Krankheit leiden, gerichtet. Wir sehen Menschen, die ganz in ihrer eigenen Welt zu leben scheinen. Deren sprachliche Fähigkeiten oft stark eingeschränkt sind, die teils unter erheblichen, plötzlich auftretenden Stimmungs-schwankungen leiden, verwirrt wirken und auch schon mal das Gegenteil von dem tun, was sie sagen. Und dennoch: Durch das rein Beobachtende und Dokumentierende werden die Erkrankten sowie ihre komplexen, mannigfaltigen Gemütslagen für den Zuschauer greifbar.
Und ebenso scheint die Persönlichkeit unter der Demenz durch, bricht sich gewissermaßen Bahn. Anders formuliert: Die Wesenszüge eines Menschen werden durch die Krankheit sichtbar. Und mit ihnen erhält der Zuschauer, bei genauer Betrachtung, entscheidende Infos und wichtige Details über das frühere Leben des Erkrankten. In einer besonders stimmungsvollen Szene sieht man einen Bewohner, wie dieser sehr lange und sorgfältig Tisch- und Thekenflächen abwischt. Er geht dabei äußerst akkurat zur Sache, den Lappen hält er dabei wie einen Hobel. Und tatsächlich wird man irgendwann (ganz beiläufig) erfahren, dass der Mann früher Schreiner war – und die Holzoberflächen damals vermutlich ebenso gründlich, exakt und sauber bearbeitet hat.
Sick begleitet die Bewohner darüber hinaus bei Beschäftigungen und in Situationen, bei denen sie regelrecht aufblühen und sich ihre Freude augenblicklich in den Gesten und ihrem mimischen Ausdruck manifestiert: beim Ballspielen, Musizieren, Lesen oder im Gespräch. Wobei in „Das innere Leuchten“ insgesamt sehr wenig gesprochen wird. Auf Interviews verzichtet Sick komplett. Keine falsche Entscheidung, denn die jeweilige Stimmung einer Szene und eines Moments entsteht ganz aus sich selbst. Indem Sick und seine Kamera still zuschauen und alles Geschehen lassen.
Eine poetische Anmutung erfährt der Film zusätzlich durch die atmosphärische musikalische Untermalung, die sich der erzählerischen Ruhe des Werks unterordnet. Und zwischendurch sieht man immer wieder kurze, erhabene Naturaufnahmen, die sich wiederum adäquat jener entschleunigten, getragenen Gesamtwirkung anpassen.
Björn Schneider