Das Kino sind wir

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In Zeiten zunehmend knapper Kassen ist es oft die Kultur bei der als erstes gespart wird. Dabei sind gerade kleine Festivals oder Kommunale Kinos auf jeden Euro Förderung angewiesen, um ihr alternatives, fern von kommerziellen Gedanken operierendes Angebot aufrecht zu erhalten. Ausgehend vom Filmladen Kassel stimmt Livia Theuer in ihrem Dokumentarfilm „Das Kino sind wir“ eine Ode an alternative Orte und dem „Film als sozialer Plastik“ an.

Webseite: https://www.daskinosindwir.de/

Deutschland 2022
Regie: Livia Theuer
Buch: Peter Rippl & Livia Theuer
Dokumentarfilm

Länge: 81 Minuten
Verleih: Filmdisposition Wessel
Kinostart: 23. November 2023

FILMKRITIK:

Ende der 60er Jahre schuf Joseph Beuys den Begriff der „sozialen Plastik“, der postulierte, dass jeder Mensch ein Künstler sei und mit seinem Handeln an der Gestaltung der Gegenwart mitwirkt. Bei seiner Teilnahme an der documenta 7 1982 initiierte Beuys das Projekt 7000 Eichen, bei dem im Laufe der Ausstellung Bäume im Stadtraum gepflanzt wurden. Was das mit Kunst zu tun habe, fragten sich schon damals viele, eher konservative Beobachter, die dem exzentrischen Künstler mit dem unverwechselbaren Outfit seit jeher skeptisch Gegenüber standen.

Nicht so die Mitbegründer des Filmladen Kassels, die Anfang der 80er Jahre mit ihrer Arbeit begannen und versuchten, einen alternativen Ort zu begründen, an dem nicht einfach nur Filme abgespielt wurden, sondern mit Film die Gesellschaft verändert werden sollte. Es war die Zeit der Massenproteste gegen die Aufrüstung, die Grünen waren gerade gegründet worden, der Umweltschutz begann, auf dem Schirm der breiten Öffentlichkeit aufzutauchen. Dazu kam die zunehmende Verfügbarkeit günstiger Filmkameras, die das Filmemachen endgültig aus einem elitären Elfenbeinturm befreite.

Günstigere Filmproduktion und alternative Abspielmöglichkeiten erwiesen sich als wichtiges Moment beim Schaffen einer Gegenöffentlichkeit und der Verbreitung von feministischen und queeren Ideen. Regisseurinnen wie Ulrike Ottinger und Monika Treut kommen dementsprechend in Livia Theuers Dokumentarfilm „Das Kino zu Wort“ zu Wort, der auf spannende Weise zwischen neutraler Darstellung einer Ära und agitatorischem Manifest für eine andere Art des Kinos changiert.

Lose chronologisch an der Geschichte des Kasseler Filmladen entlang erzählt, wuchert Theuers Film immer wieder aus, zeigt, wie engagierte Kinomacher*innen sich abseits des kommerziellen Kinos Freiräume schufen und diese in oft selbstausbeuterischer Arbeit oft über Jahre und Jahrzehnte bewahrten. Gerade in Zeiten der knappen Kassen, wenn aber gleichzeitig mal eben ein 100 Milliarden Vermögen für die Bundeswehr beschlossen werden kann, steht das Kino, steht die Kultur besonders unter Druck. Warum gerade in diesem Bereich, in dem für vergleichsweise winzige Summen bundesweit kulturelle Vielfalt verbreitet werden kann, gespart wird, müsste viel intensiver diskutiert und hinterfragt werden. Vielleicht kann Livia Theuers „Das Kinos sind wir“ als Anlass fungieren, Fragen zu stellen und den Wert von alternativen Formen des Films und der Filmvorführung ins Bewusstsein zu rücken.

 

Michael Meyns