Das Kongo Tribunal

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Im Jahr 2015 hat der Schweizer Regisseur und Aktionskünstler Milo Rau im Ostkongo und in Berlin zwei öffentliche Anhörungen zu den Ursachen und Hintergründen des seit über 20 Jahren tobenden Bürgerkriegs im Osten des Kongos veranstaltet. Dieses „Kongo Tribunal“ wird nun im gleichnamigen Film dokumentiert, ergänzt um Recherchematerial, das im Land vor Ort entstand. Die Verhandlungen des Tribunals machen deutlich, dass auf dem Rücken der Menschen im Ostkongo ein internationaler Wirtschaftskrieg um wichtige Rohstoffe geführt wird. Der Film forscht nach Ursachen und Hintergründen und gibt dabei vielen Betroffenen erstmals die Möglichkeit, öffentlich ein Zeugnis abzulegen. Die schonungslose Analyse mündet in einen hoffnungsvollen Appell: Gerechtigkeit ist möglich, wenn man sich entschlossen dafür einsetzt.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Deutschland 2017 - Dokumentation
Regie: Milo Rau
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 16.11.2017

FILMKRITIK:

Seit mehr als 20 Jahren tobt im Osten des Kongos ein blutiger Bürgerkrieg. Nahezu unbeachtet von der Weltöffentlichkeit hat der Konflikt zwischen Regierung, Rebellen und bewaffneten Milizen in dieser Zeit bis zu 6 Millionen Menschenleben gekostet. Im Kern geht es bei den brutalen Auseinandersetzungen um die wertvollen Bodenschätze in der Region: Um Gold und seltene Erden, die wichtigsten High-Tech-Rohstoffe der Industriestaaten. Der Bürgerkrieg hat seinen Ursprung demnach nicht in undurchsichtigen Stammesfehden, sondern in handfesten wirtschaftlichen Interessen einer globalisierten Welt.
 
Nach intensiven Recherchen hat der Schweizer Regisseur und Aktionskünstler Milo Rau im Jahr 2015 zwei symbolische Tribunale zum Geschehen im Ostkongo initiiert. Exemplarisch wurden die Hintergründe dreier Massaker in der Region in öffentlichen Hearings aufgerollt und verhandelt. Das erste Hearing in Bukavu, unmittelbar in der betroffenen Region gelegen, konzentrierte sich auf die konkreten Fälle vor Ort, das zweite Hearing in Berlin drehte sich vor allem um die Verwicklung multinationaler Unternehmen, der Weltbank und der EU in den Konflikt. In beiden Verhandlungen kamen Vertreter aller betroffenen Parteien zu Wort. Sie wurden befragt von einem halb kongolesischen, halb internationalen Expertengremium; den Vorsitz führten zwei Anwälte des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag.
 
Beide Tribunale wurden mit jeweils sieben Kameras aufgezeichnet. „Das Kongo Tribunal“ ist nun die filmische Dokumentation der Verhandlungen. Sie wird immer wieder unterbrochen durch Aufnahmen von Recherchereisen in den Kongo, die einen intensiven Eindruck von der Lebenswirklichkeit in den betroffenen Regionen vermitteln. Der Film beginnt mit dem dokumentarischen Zeugnis eines Massakers in dem Dorf Mutarule, dem über 30 Frauen und Kinder zum Opfer fielen. Die mit Tüchern bedeckten Leichen sind vor der Beerdigung in der Dorfmitte provisorisch aufgebahrt: Bedrückende Bilder des Schreckens, die ungeschönt  die brutale Realität im Osten des Kongos vor Augen führen.
 
Der Film ist eine weitgehend chronologische Rekapitulation der Tribunale. Geschickt verbindet er zentrale Zeugenaussagen beider Verhandlungen, wobei das Hearing in Bukavu deutlich mehr Platz einnimmt. Hier kommen lokale Minenarbeiter und Bauern zu Wort, die aus ihrer Heimat umgesiedelt oder vertrieben wurden, ebenso ein ehemaliger Rebelle, der sich bewaffneten Gruppen angeschlossen hatte. Gehört werden auch Vertreter der regionalen Regierung, Abgesandte der multinationalen Unternehmen, die sich in großem Maßstab Abbaurechte für die Rohstoffe gesichert haben, sowie Sprecher von Menschenrechtsorganisationen. So entsteht nach und nach ein komplexes Gesamtbild der Situation, in der viele widerstreitende Interessen aufeinanderprallen.
 
Bewundernswert an dem Gesamtprojekt des „Kongo Tribunals“ ist das unermüdliche Bestreben von Milo Rau und seinem Team, überhaupt ein unabhängiges, ziviles Volkstribunal am Ort des Geschehens ins Lebens zu rufen und dabei alle relevanten Akteure bis hin zum Gouverneur der Region zu versammeln. Als Zuschauer und -hörer der vielschichtigen Anhörungen ist es nicht leicht, alle Zusammenhänge sofort zu überblicken. Was man jedoch gleich begreift, ist die ungeheure Bedeutung des Tribunals für die Menschen in der Region: Erstmals bekommen sie eine Stimme, erstmals dürfen sie öffentlich ihre Belange vorbringen, erstmal können sie Zeugnis ablegen. Jenseits der verhandelten Inhalte führen diese Momente eindringlich vor Augen, was für ein hohes Gut eine unabhängige Gerichtsbarkeit ist.
 
Aus den unterschiedlichen Zeugenaussagen setzt sich wie aus verschiedenen Puzzleteilen allmählich ein Bild zusammen, das kaum einen Zweifel daran lässt, dass im Ostkongo ein internationaler Wirtschaftskrieg um seltene Rohstoffe für die Industrienationen geführt, der auf dem Rücken der lokalen Bevölkerung ausgetragen wird. Die multinationalen Unternehmen, die sich in großem Stil Schürfrechte sichern, arbeiten mit korrupten und zynisch argumentierenden Regionalpolitikern zusammen, um ihre Aktivitäten in der Region zu legalisieren. Derweil werden in der EU gut gemeinte Gesetze zur Regulierung des Rohstoffabbaus debattiert, die aber in ihrer Konsequenz für die lokalen Minenarbeiter vor Ort verheerend sind. Denn am Kernproblem ändern solche Gesetze nichts: Dass der Kongo für die wirtschaftlichen Interessen der industrialisierten Staaten ausgenutzt und ausgebeutet wird.
 
Auch das „Kongo Tribunal“ kann diese grundsätzliche Ungerechtigkeit nicht aus der Welt schaffen. Doch der Film, der von einer Buch-Veröffentlichung und einer Symposien-Tour in Deutschland begleitet wird, kann bei jedem einzelnen Zuschauer das Bewusstsein dafür schärfen, dass Reichtum und Wohlstand der hochentwickelten Staaten zu einem nicht unerheblichen Teil auf Not und Elend in weniger entwickelten Ländern basieren. Milo Rau aber, und das ist vielleicht die größte Wirkung des Films, entlässt das Publikum angesichts dieser (nicht neuen) Erkenntnis nicht in trüben Fatalismus. Vielmehr geht von dem Film eine große Hoffnung aus: Dass sich der Einsatz für die Wahrheit lohnt, dass es möglich ist, auch komplizierte Zusammenhänge aufzudröseln und zu einem Urteil zu finden. Und auch dieser Impuls geht von dieser hochkonzentrierten Dokumentation aus: Eine gerechtere Welt lässt sich gestalten. Man muss es nur mit aller Kraft wollen.
 
Klaus Grimberg