Nach „Heaven“ und „International“ eröffnete Tom Tykwer mit „Das Licht“ zum dritten Mal die Berlinale – ein Festival-Hattrick, der bislang noch niemand gelang. Die „Babylon Berlin“-Pause ist vorbei, nach acht TV-Jahren meldet sich der Regisseur mit einem kreativen Paukenschlag im Kino zurück. Erzählt wird die Geschichte einer ziemlich netten Familie in Berlin, die sich bei näherem Betrachten als reichlich dysfunktional entpuppt. Die Ankunft einer neuen Haushälterin sorgt für dramatische Veränderungen. Die Frage „Wer bin ich?“ stellt sich radikal für alle Beteiligten – womöglich auch ein bisschen für das Publikum. Einmal mehr sprengt Tykwer gängige Erzählregeln, setzt lieber volle Kraft auf Fantasie und Wow-Effekte. Seine visuelle Wundertüte lässt verliebte Figuren schwerelos vom Boden abheben oder Musical-Tänze mitten im Straßenverkehr aufführen. Opulentes Arthaus-Kino der vergnüglich raffinierten Art!
Webseite: https://www.x-verleih.de/filme/das-licht/
Deutschland 2025
Regie: Tom Tykwer
Darsteller: Nicolette Krebitz, Lars Eidinger, Tala Al-Deen, Elke Biesendorfer, Julius Gause
Filmlänge: 162 Minuten
Verleih: X-Verleih
Kinostart: 20. März
Festivals: 75. Berliner Filmfestspiele Eröffnungsfilm
FILMKRITIK:
Der Himmel über Berlin ist grau und regnerisch. Die Kamera fliegt langsam auf ein Hochhaus zu. Hinter dem Fenster einer Wohnung flackert ein grelles Licht. Die geheimnisvolle Lampe wird noch eine bedeutende Rolle spielen in diesem Familiendrama. Auch der Regen avanciert zum auffallenden Stimmungsmacher: Fast keine Außenaufnahme ohne Niederschläge. Wetlook nonstop, um den man Cast und Crew kaum beneidet.
Familie Engel führt ein gut situiertes Leben in Berlin. Papa Tim (Lars Eidinger) hat in der Werbebranche Karriere gemacht. Mama Milena (Nicolette Krebitz) plant Kultureinrichtungen in Afrika für das Entwicklungsministerium. Die Teenie-Zwillinge Frieda (Elke Biesendorfer) und Jon (Julius Gause) sind vor allem mit Chillen beschäftigt. Mamas kleiner Sohn Dio aus einer anderen Beziehung erweitert alle 14 Tage, in der „B-Woche“, das Familienleben. Die vermeintliche Idylle ist freilich längst Fassade. Jeder geht jedem möglichst aus dem Weg. Die Eltern flüchten in die Karriere, die Kids in Drogen oder VR-Spiele. Eine Paartherapie soll die Beziehung retten. Hier kann Milena endlich über ihre verdrängten Versagensängste sprechen. Tim bekommt davon allerdings nichts mit, einmal mehr erscheint er zu spät zum Gesprächstermin.
Die Lage ändert sich schlagartig, als mit der geheimnisvollen Farrah (Tala Al-Deen) eine neue Haushälterin bei Familie Engel auftaucht. Die aus Syrien geflohene Frau gewinnt schnell das Vertrauen von allen. Sie hat für jeden viel Verständnis. Und sie verfügt über jene mysteriöse Lampe, deren Flackerlicht unheimliche Dinge auszulösen vermag. Die Beziehungskarten der Engels werden neu gemischt. Am Ende verlangt Farrah freilich einen großen Gefallen von allen.
„Ich will nicht das Narrativ der Gutmenschen-Unternehmen basteln“ klagt der coole Werber Tim.
„Ich will Aufklärungsspots im Dschungelcamp!“. Seine Kampagnen kommen an. Allerdings nicht bei seiner Tochter, für die Papa ein „neoliberales Rollkommando“ darstellt. Mutter steht bei Frieda gleichfalls auf der schwarzen Liste. Seit langem schwelt der Generationen-Konflikt. Erst in Anwesenheit von Farrah, gleichsam als Katalysatorin, kommt es in der Küche zum großen Streit, bei dem sich Mutter und Tochter minutenlang anbrüllen. Dem Ehepaar geht es wenig später ähnlich. Deren lautstarkes Zerwürfnis findet im Treppenhaus statt. Szenen einer Ehe, die ans Eingemachte gehen. Da bedarf es als Gegenmittel die richtige Dosis Humor: „Geht ficken! Mit anschauen! Dann ist Ruhe!“ rät die genervte Nachbarin dem verblüfften Paar. Ähnlich komisch fällt das geplante Familienessen aus, bei dem Papa Tim grandios an der Zubereitung von Miraculi-Spaghetti scheitert.
Stil-Spieler Tykwer dreht wie an einem Kaleidoskop bei seiner Familienaufstellung. Dios Gesangseinlage von „Bohemian Rhapsody“ mutiert plötzlich zu einem Cartoon. Eine Fahrt durch einen Tunnel gerät zum bunten Bilder-Trip. Zu „Queen“-Klängen tanzen Passanten auf Berliner Straßen. Derweil Tim im Fitness-Studio seine ganz eigene Musical-Einlage bekommt. Zur „Wer bin ich“-Nabelschau dieser gut situierten deutschen Familie gesellt sich die Außenperspektive. Das Fluchttrauma der syrischen Mutter. Oder Vorwürfe gegen das Kulturprojekt in Afrika: „Bin ich jetzt die Kolonialtante?“, entgegnet Milena entrüstet.
Nach der Berlinale-Premiere mäkelten manche, Tykwer habe seinen Kino-Karren thematisch überladen. Biete nur Binsenweisheiten für die Berliner Blase. Und jene 163 Minuten Laufzeit seien ohnehin viel zu lang. Wer kleinteiliges Kino will, war bei Tykwer noch nie gut aufgehoben. Wer ein Füllhorn an nachhaltigen Geschichten jenseits ausgelatschter Genre-Wege mag, wird bestens bedient. Von den visuellen Wow-Effekten und poetischen Pirouetten ganz zu schweigen.
Dieter Oßwald