Das Lied des Lebens

Leben ist ein unaufhörliches Lernen und je weiter Erfahrungen in die Ferne rücken, um so besser lassen sie sich gestalten. Hier erzählen alte und sehr alte Menschen über Singen und Musizieren prägnante Szenen aus ihrer Jugend. Animiert und begleitet von dem experimentellen Komponisten Bernhard König fördert die Musik auf leichte Weise Schweres zu Tage. Diese Rückblicke verband Ulrike Langemann („Rubljovka – Straße der Glückseligkeit“) zu einer Dokumentation, die durch die Offenheit und Euphorie der betagten Protagonisten berührt.

Webseite: www.daslieddeslebens.lichtfilm.de

Deutschland 2012
Regie und Buch: Irene Langemann
Mit: Bernhard König, Sigrid Thost, Magdalena Reisinger, Willi Günther, Alfred Adamszak, Olga Petersen
Länge: 90 Minuten
Verleih: Lichtfilm Verleih
Kinostart: 17. Januar 2013

 

Über den Film

Originaltitel

Das Lied des Lebens

Deutscher Titel

Das Lied des Lebens

Produktionsland

DEU

Filmdauer

93 min

Produktionsjahr

2012

Produzent

Bergmann, Wolfgang

Regisseur

Langemann, Irene

Verleih

Starttermin

01.01.1970

 

PRESSESTIMMEN:






FILMKRITIK:


Das Kino holt nach, was es über Jahrzehnte links liegen ließ. Alte Menschen jenseits der 70, früher hauptsächlich als schrulliges Beiwerk besetzt, stehen immer öfter auf der Leinwand im Fokus. Nicht nur bejahrte Hollywoodschauspieler präsentieren, meistens gut zurechtgemacht, die Spuren der Zeit, wie in "Best Exotic Marigold Hotel" oder "Das Beste kommt zum Schluss". Dass es auch unglamourös und unspektakulär geht, zeigen Michael Hanekes preisgekröntes Drama "Liebe", "Wolke 9" von Andreas Dresen oder "The Straight Story" von David Lynch. Agnès Varda gab sich mit 82 Jahren in ihrem Porträt "Agnès‘ Strände" gleich selbst die Ehre.


Die Grenzen, ab wann das Alter beginnt, werden, der steigenden Lebenserwartung sei Dank, immer höher gesetzt. Der hier gezeigte Experimentalchor nimmt überhaupt erst Menschen ab 70 Jahren auf. Geleitet wird er von dem Komponisten Bernhard König, Urheber der Kinderoper "Expedition zur Erde". Er bekennt, von jeher eine Faszination für alte brüchige oder "faltige" Stimmen zu hegen. Aus den Erinnerungen des 91 Jahre alten Herrn Adamszak – "Ich kam aus dem Krieg zurück, die anderen nicht. Man ist immer wieder an der Front." – entwickelt König ein szenisches Singen zu der Zeile "Wir haben überlebt". Beschwingtere Klänge bringt er in einem Stuttgarter Altenheim zur Entfaltung. Hier ordnet er der 78-jährigen Frau Reisinger, die mit 15 Jahren ihr erstes Kind bekam und wegen dieser "Familienschande" von ihrer Mutter geschlagen wurde, das Lied "Kann denn Liebe Sünde sein?" zu. Ihre sonnige Reaktion: "Nein, Liebe kann keine Sünde sein, sonst gäbe es ja keine Menschen auf der Erde" verpackt er in ein kurzes Sprechtheater mit Vocalsolisten. Für die erblindete aber sehr positiv gestimmte frühere Psychologin Frau Thost bedeuten Königs Besuche eine echte Wohltat. Musik sei ihr Lebenselixier, sagt sie. Sie improvisiert am Flügel schöne nachdenkliche Weisen über den "leeren Himmel", an dem sie einst als Vierjährige vergeblich ihre jung verstorbene Mutter suchte.


Eine Nachfrage Bernhard Königs an Frau Thost: "Wie stellen Sie sich die Sinfonie Ihres Lebens vor?" wirkt da doch etwas gewollt, ebenso das Vorgehen, einem sehr gebrechlichen Herrn ein Akkordeon in Arme zu legen. Die eingeblendeten Betrachtungen von herbstlichen Bäumen oder das nachahmende Gesumm von Laubgeraschel tragen nicht zur filmischen Originalität dieser eher Fernsehformat-tauglichen Dokumentation bei. Wenngleich die Senioren hier gerne, wenn zum Teil auch nur rudimentär, mitmusizieren, zeichnet sich doch ein leichter Generationenkonflikt ab. Es scheint das psychotherapeutisch geprägte Streben der 40jährigen zu sein, die Alten an traumatische Erlebnisse zu erinnern, die diese längst vergessen wollen oder schon oft erzählt haben. "Mein Anliegen", sagt eine der Chordamen, "ist es nicht, Angst darzustellen. Ich glaube mich in einem Alter, in dem ich die Angst überwunden habe." Am Ende ist es auch nicht das künstlerische Ergebnis, das in einem Konzertsaal in Essen aufgeführt wird, was zählt, sondern der freundliche Umgang der Alten mit ihren einschneidenden Erlebnissen und ihre Lebendigkeit. Da kann es beim Zuschauen des Öfteren geschehen, in ihren Gesichtern die 20-jährigen, die sie einmal waren, durchleuchten zu sehen.

Dorothee Tackmann


Die Dokumentarfilm-Regisseurin Irene Langemann sucht Themen aus, die nicht auf der Straße liegen („Die Martins-Passion“, „Rubljovka – Straße zur Glückseligkeit“, „Russlands Wunderkinder“). Auch „Das Lied des Herzens“ könnte spezieller nicht sein.

Sieben Achtel der Personen, die in diesem Film auftreten, sind über 70! Der Komponist Bernhard König ist es, der sie zusammengetrommelt hat. Ihm kam die Idee, dass auch die Stimmen und der Gesang älterer Menschen noch etwas hergeben. Also machte er sich auf u. a. nach Stuttgart ins Altersheim Sonnenberg und nach Köln zu dem Senioren-Experimetalchor „Alte Stimmen“.

Er wollte nicht, dass die alten Herrschaften nur Volkslieder von sich geben. Er wollte Lebenssituationen und Lebensschicksale „vertonen“. Beispielsweise das der erblindeten Psychologin Sigrid Thost, einer Laienpianistin, die als Kind beide Eltern verlor. Oder das der frommen Magdalena Reisinger, die bereits mit 15 ein Kind bekam und deshalb von der Mutter geschlagen und von der Dorfgemeinschaft verachtet wurde. Auch dasjenige des Alfred Adamszak, der als 21järiger Soldat im Zweiten Weltkrieg seinen Bruder verlor und seine Kameraden sterben sah, welches Trauma ihn nie verließ. Oder das des Musikanten Willi Günther, der seit einem Schlaganfall halbseitig gelähmt ist und sein Instrument nicht mehr spielen kann. Schließlich das der Olga Petersen, die als Kind in der DDR Ängste vor den russischen Soldaten erleben musste.

Mit den Beteiligten „komponierte“ König dazu Melodien, Laute, Gesten, Übungen, Chorstücke – ein Kompositum, das dann in Essen vor Publikum aufgeführt wurde.

Wie sehr die „Alten“ mitgingen, begeistert und gerührt waren, neuen Auftrieb verspürten, zur Musik und zur Aufführung beitrugen, das war menschlich schon bewegend. Die Sache hat sich mental und nach außen hin gelohnt.

„Die Ärzte sollten ihren Patienten das Singen auf Rezept verordnen, Psychopharmaka wären dann sicher in vielen Fällen nicht notwendig.“ – „Während man in anderen Gesangsvereinen diese Altersgruppe aussortiert, gibt unser Chorleiter Bernhard König . . . jedem eine Chance, an seinem Experiment teilzunehmen.“

Respekt verdienen diejenigen, die alles erdacht, vorbereitet, mit monatelanger Geduld einstudiert und schließlich durchgeführt haben: Bernhard König und seine Kolleginnen Ortrud Kegel und Alexandra Neumann, die Neuen Vokalsolisten, die Gruppe Uwaga – und natürlich die Regisseurin Irene Langemann.

Ein außergewöhnlicher, menschlich sicherlich bewundernswerter Dokumentarfilm.

Thomas Engel

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