Ein düsteres Sozialdrama mit Anleihen bei gotischem und realem Horror: Magnus von Horns „Das Mädchen mit der Nadel“ verknüpft viele Ansätze zu einem in markantem schwarz-weiß gedrehtem Film, der zudem auch noch auf realen Ereignissen beruht. Zumindest im Ansatz, denn die Geschichte einer dänischen Serien-Mörderin wird hier zum Ausgangspunkt einer Anklage des Patriarchats.
Pigen med nålen
Dänemark/ Polen/ Schweden 2024
Regie: Magnus von Horn
Buch: Magnus von Horn, Line Langebek
Darsteller: Vic Carmen Sonne, Trine Dyrholm, Besir Zeciri, Avo Knox Martin, Joachim Fjelstrup, Tessa Hoder
Länge: 123 Minuten
Verleih: MUBI
Kinostart: 9. Januar 2025
FILMKRITIK:
Mit der Nadel versucht sich Karoline (Vic Carmen Sonne) im Kopenhagen des frühen 20. Jahrhunderts über Wasser zu halten: Sie arbeitet in einer Kleiderfabrik an der Nähmaschine, ihr Mann scheint auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges verschollen, doch eine Witwenrente bekommt sie ohne Todesurkunde nicht. Der anfangs freundliche Fabrikbesitzer Jørgen (Joachim Fjelstrup) macht ihr schöne Augen, doch als Karoline schwanger wird, lässt er sie fallen und entlässt sie.
Nun setzt Karoline eine Nadel zu anderem Zweck ein und versucht ihr Ungeborenes abzutreiben. Bevor sie nicht nur ihrem Kind sondern auch sich selbst Schaden zufügen kann, wird sie von Dagmar (Trine Dyrholm) aufgehalten, die ihr ein Angebot macht: Nach der Geburt könnte das Baby von liebenden Menschen adoptiert werden, Karolines Gewissen wäre dadurch nicht so sehr belastet.
Und so wird es gemacht, doch vor allem wird Karoline Aushilfe in Dagmars Hauptbeschäftigung, der Fassade ihres (scheinbar) noblen Tuns: Einem kleinen Bonbongeschäft. Hier lernt Karoline auch das kleine Mädchen Erena (Avo Knox Martin) kennen, die Dagmar als ihre Tochter vorstellt. Doch nicht nur daran beginnt Karoline bald zu zweifeln…
Lose basiert „Das Mädchen mit der Nadel“ auf dem Fall der dänischen Serienmörderin Dagmar Overby, die Anfang des 20. Jahrhunderts eine illegale Adoptionsagentur gründete. Zu einer Zeit, als unverheiratete Mütter wie Ausgestoßene behandelt und von der Gesellschaft verachtet wurden. In passend düsterem schwarz-weiß zeigt Magnus von Horn diese Welt, hat in seiner Wahlheimat Polen heruntergekommene Sets bauen lassen, die das Leben am Rand des Existenzminimums überzeugend andeuten.
Man mag es bedauern, dass diese Geschichte offenbar nicht genug war, von Horn zusätzlich die Figur der Karoline erfinden musste, die mit der Welt der Serienmörderin konfrontiert wird und einen am Ende arg versöhnlichen Ausweg findet. Vor allem Karolines verstorben geglaubter Mann Peter (Besir Zeciri) wirkt hier wie ein allzu gewolltes Konstrukt: Abgesehen davon, dass Dänemark als neutrales Land eigentlich nicht am Ersten Weltkrieg beteiligt war, kehrt Peter mit entstelltem Gesicht zurück, was ihm nur die Möglichkeit lässt, sich in einem Zirkus als zur Schau gestellter Freak zu verdingen.
Äußerliche und innere Abgründe scheint von Horn hier gegeneinander stellen zu wollen, beides Aspekte einer patriarchalen Welt, in der Abweichungen von der Norm mit Verachtung bestraft werden. Zu diesem Zweck mischt er inhaltlich oft sozialrealistisches Kino mit Genremustern, driftet mal in gotischen Horror, mal in eine Serienkillergeschichte ab, eine inhaltlich nicht immer ganz überzeugende Mischung, die am Ende vor allem durch den markanten Stil überzeugt.
Michael Meyns