Das Tier im Dschungel

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Jeder Club-Fan kennt diesen Typen: Er steht immer neben, niemals auf der Tanzfläche. Er tanzt nicht, er beobachtet nur. John ist einer dieser Typen. May ist ganz anders. May liebt das Leben und tanzt, manchmal die ganze Nacht. Bis John ihr von seinem Geheimnis erzählt… Anaĭs Demoustier und Tom Mercier brillieren schauspielerisch unter Patric Chihas Regie, der in „Das Tier im Dschungel“ das ganze Leben in eine Disco packt und nicht nur den Weg von den 70er-Sounds zum Techno schildert, sondern uns auch über die Dinge des Lebens nachdenken lässt.

Webseite: https://grandfilm.de/das-tier-im-dschungel/

La bête dans la jungle
Frankreich 2023
Regie: Patric Chiha
Drehbuch: Patric Chiha, Jihane Chouhaib
Darsteller: Anaĭs Demoustier, Tom Mercier, Béatrice Dalle
Kamera: Céline Bozon
Musik: Émilie Hanak, Dino Spiluttini

Länge: 103 Minuten
Verleih: Grandfilm
Kinostart: 5. Oktober 2023

FILMKRITIK:

Ende der 70er Jahre betritt die junge May einen frisch eröffneten Club in Paris: So neu und angesagt ist der Laden, dass er noch nicht mal einen Namen hat, nur eine sehr kritische, mysteriöse Türsteherin, die genau zu wissen scheint, wer dazu gehört und wer nicht. May ahnt nicht, dass die Türsteherin Schicksal gespielt hat, denn kurz vor ihr hat sie John hereingelassen, den May vor ein paar Jahren auf einem Musikfestival kennengelernt hat. Dort hat er ihr von seinem Geheimnis erzählt: Er wartet auf ein Ereignis, das ihrer aller Leben verändern wird. Nichts wird so sein, wie es war, das weiß John. Er weiß aber nicht, was für ein Ereignis es sein wird und wann es eintritt. May ist von dieser Geschichte zunächst eher belustigt, aber der Schweiger John und seine schräge Mission faszinieren sie. Sie beginnt, mit John gemeinsam zu warten. Jeden Sonnabend kommt sie in den Club, der noch viele Jahre lang ohne Namen bleiben wird. Und während May und John gemeinsam warten, verändern sich die Zeiten: Mitterand wird Präsident, AIDS bricht aus und fegt den Club leer, aus den süffigen 70er-Sounds entwickelt sich der Techno und plötzlich hat der Club einen Namen: „Das Tier im Dschungel“ heißt er, doch wir erfahren nicht, wer oder was dieses Tier ist, genauso wenig, wie wir erfahren, worauf May und John eigentlich warten.

Am Ende des Films, nach über dreißig Jahren in einer zeitlos angesagten Disco, packt Regisseur und Drehbuch-Coautor Patric Chiah eiskalt seine Lösung aus, die damit beginnt, dass May krank wird. Langsam löst sich das Rätsel, die Zuschauer finden Einlass in die Gedankengänge der beiden Protagonisten. Offensichtlich geht es um das Leben an sich und überhaupt: die vielen Stunden, die man vergeudet hat, die merkwürdigen Entscheidungen, mit denen man beinahe zufällig der eigenen Existenz eine neue Richtung gegeben hat. Waren sie richtig? Waren sie falsch?

Dazu stellen sich weitere Fragen: Warum haben John und May nie zueinander gefunden, obwohl alles darauf hindeutete? Und wer ist eigentlich das Tier im Dschungel? Die Türsteherin? Der Toilettenmann? Oder der unsichtbare große weiße Elefant im Raum – das Ereignis, auf das May und John so lange warten.

Viele Fragen für 100 Film-Minuten in der Disco. Fragen, die diejenigen, die den Film gesehen haben, lange nicht loslassen werden. Die genauso lange nachwirken wie die manchmal verstörenden, immer faszinierenden Bilder der Tänzer in diesem einzigartigen Club. Und die Blicke der Menschen neben der Tanzfläche. Sie beobachten. Und sie warten.

 

Gaby Sikorski