Das Wunder von Taipeh

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Die Geschichte des ersten großen internationalen Erfolgs einer deutschen Damenfußballmannschaft wurde zu einem flotten, kleinen Film über die Leidenschaft für den Sport, über Freundschaft und nicht zuletzt über die Schwierigkeiten und Hindernisse, die vor 40 Jahren bewältigt werden mussten, weil Frauen Fußball spielen wollten.

Webseite: mindjazz-pictures.de

Dokumentarfilm
Deutschland 2019
Regie und Buch: John David Seidler
85 Minuten
Verleih: mindjazz pictures
Kinostart: 27. Februar 2020

FILMKRITIK:

So selbstverständlich es heute ist, dass Mädchen und Frauen in Deutschland vereinsmäßig Fußball spielen, auch auf internationaler Ebene: Das war nicht immer so. Im Gegenteil – die erste Damennationalmannschaft der Bundesrepublik Deutschland lief erst 1982 auf, und dass dies dann überhaupt (endlich) geschehen konnte, war dem „Wunder von Taipeh“ zu verdanken. Denn im Jahr 1981 wurde die SSG 09 Bergisch Gladbach, der amtierende Deutsche Fußballmeister bei den Damen, zur ersten Frauen-WM nach Taipeh eingeladen, und zwar in Ermangelung einer Nationalelf. Ohne jede Unterstützung durch den DFB reiste die Damen-Vereinsmannschaft nach Taiwan, unterstützt von einigen regionalen Sponsoren, vor allem aber angetrieben vom Spaß am Fußball und von einer unbändigen Spielfreude. Als sie im Finale die Niederlande besiegen konnten, war erst einmal alles vergessen – die Strapazen von 9 Spielen in 11 Tagen und die vorausgegangenen Querelen. Die Frauen feierten ihren Sieg, der tatsächlich bis nach Deutschland Wellen schlug.

Im Film nimmt die WM in Taipeh und der Verlauf der Spiele in der Dokumentation, anders als es der Titel erwarten lässt, einen eher schmalen Raum ein. Das mag auch daran liegen, dass es nicht allzu viel brauchbares Bildmaterial von damals gibt. Im Vordergrund stehen die Spielerinnen, die bis heute miteinander befreundet sind und dem Fußball verbunden blieben. Einige von ihnen sind noch aktiv, andere sind Trainerinnen. Sie alle kommen in der sehr ausführlichen Exposition zu Wort, in der es um die Geschichte des Frauenfußballs in der Bundesrepublik geht. Das ist nicht nur für die Älteren im Publikum ein interessantes Wiedersehen – jüngere Film- und Fußballfans werden aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn sie erleben, wie das damals komplett männliche Fußballdeutschland mit dem Frauenfußball und den Sportlerinnen umging. Zwischen widerlicher Gönnerhaftigkeit, scheinbarer Fürsorge, sexuellen Anspielungen und eindeutiger Feindseligkeit bewegten sich die Kommentare, mit denen die meisten Funktionäre, aber auch Fernsehmoderatoren und Sportreporter auf die wachsende Zahl Fußball spielender Frauen reagierten. Die erste Einladung einer Frauenmannschaft ins „Aktuelle Sportstudio“ ist dafür ein wenig ruhmreiches Beispiel. Theo Zwanziger, der Ex-DFB-Präsident, erweist sich dagegen als durchaus selbstkritischer Gesprächspartner, beinahe so, als könne er es selbst nicht glauben, was sich damals abgespielt hat. Leider ist er der einzige etwas prominentere Mann, der zu Wort kommt. Es wäre doch mal schön gewesen zu hören, was die seinerzeit von den Spielerinnen verehrten männlichen Vorbilder – man denke nur an Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath oder Paul Breitner – heute zu den ersten Gehversuchen ihrer Kolleginnen und zu ihren eigenen früheren Kommentaren dazu sagen würden.

Der Dokumentarfilmer John David Seidler hat für seinen kleinen Film eine Form gewählt, die den Spielerinnen viel Raum für ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen lässt, die fast alle damit zu tun haben, dass sie schon als Kinder davon träumten, Fußball zu spielen. Doch es gab keine Fußballvereine für Mädchen, denn die waren bis 1970 verboten. Eine bekam sogar einen Jungennamen und durfte mit den Jungs mittrainieren, bis sich nicht mehr verheimlichen ließ, dass sie ein Mädchen war. Andere, wie die legendäre Spielertrainerin Anne Trabant-Haarbach, die später Kapitänin und Trainerin der ersten Nationalelf wurde, begannen zunächst mit anderen Sportarten. Die Begeisterung, die sie für den Fußball mitbrachten, war der von Straßenfußballern und glühenden Fans. Sie trainierten, so oft sie konnten, auch auf Schotterplätzen und im Schlamm, denn die Rasenplätze blieben oft den Männern vorbehalten. Sie mussten sich – jede für sich und alle zusammen – in einer Männerwelt behaupten, in der sie nicht für voll genommen wurden. Für die meisten von ihnen war der Flug nach Taiwan die erste Auslandsreise überhaupt, und von ihrem Erfolg zehren sie bis heute. Wie sehr die Entbehrungen und die gemeinsam überstandenen Demütigungen, aber auch die Freude über den Sieg die Spielerinnen von damals zusammengeschweißt haben, lässt sich ganz wunderbar und unterhaltsam in diesem Film sehen, der in freundlicher Rückschau eine schöne Geschichte von fußballverrückten Frauen erzählt.

Gaby Sikorski