Das Zimmer der Wunder

Zum Vergrößern klicken

Die Verfilmung des Bestsellers von Julien Sandrel ist ein gelungenes Melodram mit einer guten Portion Humor, einer positiven Grundstimmung – und mit einer tollen Hauptdarstellerin: Alexandra Lamy, die als Thelma eine Frau spielt, die bereit ist, für ihren Sohn Louis, der im Koma liegt, alles zu tun, damit er wieder aufwacht. So stürzt sie sich in die Abenteuer, die ihr Sohn eigentlich für sich selbst vorgesehen hatte, immer nach seinem Motto: „Was ich vor dem Ende der Welt erledigen will, weil das vielleicht früher kommt als erwartet.“ Die Message ist dabei durchaus optimistisch: Genieße den Moment!

La chambre des merveilles
Frankreich 2023

Drehbuch: Fabien Suarez, Juliette Sales
Regie: Lisa Azuelos
Darsteller: Alexandra Lamy, Muriel Robin, Hugo Questel
Kamera: Guillaume Schiffman
Musik: Bonjour Meow

Länge: 99 Minuten
Verleih: SquareOne Entertainment
Start: 16. Mai 2024

FILMKRITIK:

Ein Junge spricht auf dem Schulhof einen größeren Schüler an, haut ihm eine runter und wird in der Folge von dem Älteren so verprügelt, dass ihn seine Mutter Thelma abholen muss. Louis (Hugo Questel), heißt der Junge, der nun eine dicke Schramme auf der Stirn hat, sich aber weder beklagt noch irgendwie darüber äußert, warum er den anderen Jungen so provoziert hat. Mutter und Sohn leben allein in einer kleinen Wohnung. Eines Tages verunglückt Louis schwer mit dem Skateboard. Er kommt auf die Intensivstation und liegt im Koma.

Von einem Moment zum anderen hat sich für Thelma und Louis das Leben komplett geändert. Thelma fährt jeden Tag ins Krankenhaus, doch die Sorge bleibt. Eines Nachts findet die schlaflose Thelma im Kinderzimmer unter Louis‘ Kopfkissen eine Kladde, in der er aufgeschrieben hat, was er alles erledigen möchte, bevor die Welt untergeht: insgesamt zehn Wünsche, die er sich selbst erfüllen möchte – manche albern, manche rührend, so wie der Wunsch, seinen Vater zu treffen. Mit dieser Entdeckung löst sich für Thelma das Rätsel der Ohrfeige, die Louis dem anderen Schüler verpasst hat: Das war die Nr. 1 auf der Liste. Und Thelma nimmt sich vor, diese Liste für ihren Sohn abzuarbeiten.

Diese Grundidee einer Mutter-Sohn-Geschichte ist nicht nur originell, sie sorgt auch für viele Emotionen, vor allem weil es neben der Krankenhausgeschichte eine zweite Ebene gibt, die immer wichtiger wird. Mit Thelmas Aktionen kommen aber auch Tempo und Action in die Handlung, was für eine positive, sogar heitere Stimmung sorgt. Dass sie eine erwachsene Frau ist und Louis ein kleiner Junge, schafft einige ziemlich witzig absurde Situationen, zum Beispiel, wenn sie Graffitis sprayt oder auf einer gefährlichen Serpentinenstraße mit dem Skateboard fahren will. Die Szenen im Krankenhaus sind der rote Faden, der die Handlung zusammenhält, während Thelmas Aktionen in den Mittelpunkt rücken. Sie reist dafür um die halbe Welt, und ihre Erlebnisse sind oft spannend, aber immer interessant, zumal man nicht immer schon vorher erfährt, was sie eigentlich will und wie sie das bewerkstelligen könnte. Da steht sie dann in Tokio auf der Straße, und das Kinopublikum ist genauso ahnungslos wie sie selbst. Oder das Abenteuer in Portugal: Louis hat sich vorgenommen, mit Walen zu schwimmen. Aber Thelma hat Angst vor dem Wasser – und diese Angst muss sie zuerst mal überwinden, bevor sie ins Meer steigt. Das alles ist oft witzig und rührend zugleich: Eine Frau überwindet ihre Ängste und wird immer mutiger, um ihrem Kind und letztlich auch sich selbst zu helfen.

Mit ihrer zupackenden Energie und ihrem eher spröden Charme sorgt Alexandra Lamy in der Hauptrolle dafür, dass der Film weder platt noch flach wirkt. Auch die Verklärung der Mutterrolle hält sich in Grenzen, wie überhaupt der Kitschfaktor relativ niedrig bleibt – und das, obwohl die Handlung eigentlich dazu einlädt. Hier und da wird es dann doch mal sehr anrührend, allerdings ohne großen Taschentucheinsatz. Das liegt auch an Alexandra Lamy. Sie spielt die Thelma als facettenreiche Persönlichkeit, die gar nicht so mütterlich wirkt und dadurch letztlich umso überzeugender: Dank ihr wird Thelma zu einer Frau, die bei aller Emotionalität nicht gefühlsduselig wird und eine klare Zielrichtung hat: Sie will mit ihren Aktionen ihre eigene Hilflosigkeit und Verzweiflung besiegen, und sie hat etwas, wovon sie Louis erzählen kann. Immer in der Hoffnung, dass er eines Tages darauf reagiert. Denn sie wartet auf ein Zeichen von ihm – vielleicht ein Lächeln?

 

Gaby Sikorski