Dem Leben auf der Spur

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Ganz unauffällig schleicht sich hier ein kleines Meisterwerk in die Kinos: Der Debütfilm des isländischen Regisseurs Elfar Adalsteins erzählt von der allmählichen Annäherung eines Vaters und seines Sohnes während einer nicht ganz freiwilligen Reise durch Irland. Auch dank der beiden großartigen Schauspieler John Hawkes (u. a. „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“) und Logan Lerman („Empörung“) schafft Adalsteins eine grandiose Stimmung – irgendwo zwischen knorrig und ergreifend.

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Irland/USA
Regie: Elfar Adalsteins
Drehbuch: Michael Armbruster
Darsteller: John Hawkes, Logan Lerman, Sarah Bolger, Ólafur Darri Ólafsson, Andrea Irvine

Länge: 94 Minuten
Verleih: Filmwelt
Kinostart: 15.12.2022

FILMKRITIK:

Nach dem Tod seiner Frau Anna möchte Frank ihr den letzten Wunsch erfüllen: Er soll mit dem gemeinsamen Sohn Sean von den USA nach Irland reisen, Annas alte Heimat, und dort ihre Asche in einem See verstreuen. Sean hat gerade eine Strafe wegen diverser Taten und Tätlichkeiten abgesessen, aber das ist nicht das Hauptproblem: Vater und Sohn können einfach nicht miteinander. Frank versucht immer wieder, das Verhältnis zwischen Sean und ihm zu verbessern, aber Sean steht seinem Vater beinahe feindselig gegenüber. Im besten Falle ignoriert er ihn, meistens reagiert er wütend auf alles, was Frank sagt oder tut. Immerhin lässt er sich zu der Reise überreden, jedoch nur, weil Frank ihm verspricht, dass Sean ihn hinterher nie wieder sehen muss. Insgesamt also keine guten Vorzeichen für die Reise, die Urne mit Annas Asche haben sie immer dabei.

Schon der Beginn stimmt mit klaren, feinen Bildern auf die kommenden Ereignisse ein: Anna besucht ihren Sohn im Gefängnis, am Eingang muss sie ihr Kopftuch abnehmen, mit kahlem Kopf sitzt sie Sean gegenüber, umgeben von einer ganzen Besucherschar. In wenigen Bildern, ganz ohne Worte erzählt Elfar Adalsteins von Krankheit und Abschied, ohne jede Sentimentalität und dennoch sehr ergreifend. Auch die innige Beziehung zwischen Anna und Frank wird lediglich in wenigen starken Bildern vermittelt.

Elfar Adalsteins und der Drehbuchautor Michael Armbruster erzählen über Bilder, Blicke und Gesten mehr als über Dialoge, es gibt praktisch keine Erklärungen. Da ist kein Wort zu viel, die Stimmung ist eher lakonisch, ohne jede Gefühlsduselei. Obwohl der Stoff genug Möglichkeiten hergäbe, um auf die Tränendrüsen zu drücken oder anrührende Nebengeschichten zu erzählen, hat die Handlung etwas knorrig Sprödes, aber gleichzeitig gibt es da auch die Ahnung von Verletzlichkeit – bei beiden Männern. Die Geschichte selbst erschließt sich über die Handlung nur so weit, wie es für das Verständnis notwendig ist. Vieles wird der Fantasie und dem Assoziationsvermögen des Betrachters überlassen. So bleiben Seans kriminelle Vergangenheit und seine Vorgeschichte ebenso wenig thematisiert wie die Gründe, warum er seinen Vater ablehnt, falls es dafür überhaupt eine Erklärung gibt. Stattdessen finden sich hier und da Andeutungen, die Assoziationen wecken, aber auch die klare Botschaft senden: Was geschehen ist, spielt heute keine Rolle mehr. Es geht ums Jetzt und darum, das Beste daraus zu machen. Die Kamera findet dafür die passenden Bilder: Eigentlich regnet es beinahe ständig, aber darüber wird nicht gesprochen, ebenso wenig über die beeindruckende Landschaft Irlands.

Der Film bleibt stets ernsthaft, obwohl es hier und da komische Situationen gibt. Aber hier handelt es sich eben gerade nicht um eine Vater-Sohn-Komödie, in der sich zwei Dauerkabbler am Ende tränenreich in die Arme sinken. Viel eher ist es ein Drama um einen Sohn, der seinen Vater hasst und vielleicht nicht einmal selbst weiß, warum. Schon zu Beginn wird klar, dass Frank von seinem Sohn nicht für voll genommen wird. Dabei ist er ein ganz offenkundig anständiger Kerl, leise und zurückhaltend, eigentlich ein Gentleman der alten Schule. John Hawkes spielt ihn sehr sensibel, mit sparsamen Gesten und einer manchmal wie erstarrten Mimik – er ist in Trauer und versucht mit dem Tod seiner Frau fertig zu werden, aber gleichzeitig möchte er ihren letzten Wunsch erfüllen, wobei sie dabei sicherlich auch die Hoffnung hatte, dass sich Vater und Sohn wieder annähern könnten. Diese doppelte Schuld lastet von Anfang an auf Frank, und John Hawkes zeigt sie in seinen Blicken und Gesten. Logan Lerman als Sean ist beinahe das genaue Gegenteil: Wo Frank ruhig ist, ist er laut. Wenn Frank still vor sich hin leidet, wird Sean polterig. Er spielt den Sean als jungen Mann mit einer extrem kurzen Zündschnur. Gewalt ist für Sean eine selbstverständliche Gefühlsäußerung. Dass er auch anders sein kann, zeigt sich, als die beiden Männer der flockig flotten Anhalterin Jewel begegnen. Sie bezirzt erst Sean und gleich darauf seinen Vater. Sarah Bolger spielt sie mit umwerfendem Charme und sorgt für einen der zahlreichen emotionalen Höhepunkte des Films, wenn sie am Abend im Pub „Dirty Old Town“ singt. Das alles ist zwar irgendwie typisch irisch – die beiden Musiker, die die junge Frau zum Singen auffordern, und die schöne Atmosphäre im Pub –, aber gleichzeitig zeigt die Situation auch überdeutlich das, was den beiden Männern entgeht, wenn sie gegeneinander statt miteinander kommunizieren. Schade nur, dass die beiden es selbst nicht merken. Noch nicht.

 

Gaby Sikorski