Der Anständige

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Purer Sarkasmus ist schon der Titel von Vanessa Lapas Film „Der Anständige“, der einen Mann beschreibt, der alles andere als das war: Heinrich Himmler, Reichsführer der SS und einer der entscheidenden Architekten der so genannten „Endlösung“. Aus erst vor acht Jahren aufgetauchten Originaldokumenten und einer Kollage aus Dokumentarmaterial formt die Regisseurin einen eindrücklichen Film, der einmal mehr die viel beschworene „Banalität des Bösen“ beschreibt.

Webseite: www.der-anstaendige.de

Israel/ Österreich/ Deutschland 2014 - Dokumentation
Regie, Buch: Vanessa Lapa
Länge: 94 Minuten
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 18. September 2014
 

FILMKRITIK:

Als kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs amerikanische Soldaten den Wohnsitz von Heinrich Himmler unweit von München betraten, fanden sie im Safe zahlreiche Briefe, Tagebücher und andere Dokumente. Offiziellen Stellen wurde der Fund aber nie übergeben sondern blieb über Jahrzehnte in Privatbesitz, bis er im Jahr 2006 in den Besitz einer israelischen Produktionsfirma gelangte. In Jahrelanger Arbeit wurden die Aufzeichnungen Himmlers transkribiert und formen nun das Gerüst, an dem Vanessa Lapa ihren Film entlangerzählt.

Es ist ein Film, der schwer zu kategorisieren ist, denn der naheliegendste Begriff „Dokumentation“ trifft nur bedingt, was Lapa hier versucht: Sie erzählt die Biographie von Heinrich Himmler, allerdings eine sehr subjektive Biographie, die sich fast ausschließlich aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen Himmlers zusammensetzt, zu denen einige offizielle Schriften kommen, dazu Briefe an Albert Speer oder Himmlers Eltern und schließlich Tagebuchaufzeichnungen von Himmlers Frau Marga. Der Clou ist nun, das Himmler und seine Frau von Tobias Moretti und Sophie Rois gesprochen werden, die alles andere als distanziert und neutral vortragen, sondern mit ausgefeiltem verbalem Spiel die Banalität des Gesagten überdeutlich machen.
Wenn sich da Marga und Heinrich am Anfang ihrer Liaison, als das Paar lange Monate getrennt war, mehr oder weniger eindeutige Liebesbriefe schreiben, die Himmler gern mit „Dein Heini“ unterschrieb, dann wirkt dies gerade angesichts des Bewusstsein so absurd, dass Himmler zu diesem Zeitpunkt um 1930 eifrig am Aufbau des NSDAP Machtapparat beteiligt war. Die an den Ziehsohn gerichtete Aufforderung „Man muss im Leben immer anständig und tapfer sein und gütig. Dein Papi" wirkt angesichts der Taten Himmlers wie purer Hohn.

Unterlegt, kommentiert, kontrastiert wird die Tonspur mit einem Fluss an Dokumentaraufnahmen und Fotos, die manchmal Himmler zeigen, meist aber nur mehr oder weniger zu den Texten passen. Ist da von Himmlers Schulzeit die rede, sieht man irgendeine Schulklasse, später aber auch Bilder von Krieg und Konzentrationslagern, die auf gruselige Weise mit den gleichzeitig zu hörenden guten Wünschen von Himmlers Mutter kontrastieren, die um die Gesundheit ihres Sohns besorgt ist.
Und warum auch nicht? Für sie war Heinrich Himmler eben der Sohn und nicht die Person, der als zweitmächtigster Mann im NS-Staat für den Tod von Millionen mitverantwortlich war. So banal, so spießig wirken diese Briefe, dass es wehtut. Da wäre es auch gar nicht nötig gewesen, die an sich meist stummen Dokumentaraufnahmen mit oft arg aufdringlichen Geräuschen zu unterlegen. Allein der Kontrast aus Ton und Bild, noch betont durch die markanten Stimmen Morettis und Rois, reichen für einen eindringlichen Blick auf einen emblematischen Verbrecher des Nationalsozialismus. Ein ungewöhnlicher, gewagter und unbedingt sehenswerter Film.
 
Michael Meyns