Der Atem des Meeres

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„Der Atem des Meeres“ ist kein Dokumentarfilm im eigentlichen Sinne. Oder besser gesagt: Nicht unbedingt das, was man sich unter einer Dokumentation vorstellt, denn Regisseur Pieter-Rim de Kroon wartet zwar mit beeindruckenden Bildern vom Wattenmeer, seiner Flora und Fauna und den Menschen, die darum leben, auf, bietet aber keinen erklärenden Kontext. Er verzichtet auf einen Off-Kommentar. Der Zuschauer muss sich den Film selbst erschließen. So ist er Film in seiner pursten Form – etwas für die Sinne, zum Sehen, Hören und Fühlen. Ein Film, der auf die große Leinwand gehört, weil nur dort die Bilder ihre ganze Wucht entfalten können.

Website: www.realfictionfilme.de

The Silence of the Tides
Niederlande / Deutschland 2020
Regie + Buch: Pieter-Rim de Kroon
Länge: 101 Minuten
Verleih: Real Fiction Filmverleih
Kinostart: 29. Juli 2021

FILMKRITIK:

Der Begriff „poetisch“ fällt selten ein, wenn es um eine Dokumentation geht. Vielleicht käme man bei den vielen Naturdokumentationen der BBC noch auf den Gedanken, doch auch diese leisten sich immer einen Erzähler. Sie setzen nicht ganz und gar auf die Kraft ihrer Bilder. Pieter-Rim de Kroons „Der Atem des Meeres“ ist da anders. Er befasst sich mit dem größten Marschland der Welt, dem Wattenmeer.

Dabei führt der Weg von den Niederlanden über die ostfriesischen Küsten bis nach Skallingen in Dänemark. Immer sind es die Bilder, die für sich sprechen, ob es nun Flora, Fauna oder Menschen sind, die in den Fokus des Kameramanns geraten. Schon die ersten Minuten des Films sind erhaben. Bilder einer rauen Landschaft, von schmelzendem Eis, von einem dahintosenden Wind und den Schafen, die sich ihm entgegenstellen.

Der Film lebt von seinen Details und zeigt, wie sehr sich die Landschaft verändert, abhängig von der Tages-, aber auch der Jahreszeit. Er erzählt eine Vielzahl kleiner Geschichten, die in ihrer Simplizität gefallen. Es sind die Geschichten des Lebens, wobei „Der Atem des Meeres“ die Menschen ebenso wie die Fauna behandelt. Der Mensch ist hier kein Fremdkörper, er agiert als Teil der Landschaft rund um das Wattenmeer. Das mag einem romantischen Idyll entsprechen, aber auch damit lädt der Film zum Träumen ein.

Wenn man sich von den Bildern mitreißen lässt, dann wandern die Gedanken. Nicht zwangsläufig rund um die Themen dieses Films, aber er hat eine kontemplative Wirkung. Es ist fast so, als würde man meditieren, während man „Der Atem des Meeres“ sieht.

Der Film ist dabei alles andere als still. Es ist vielmehr die natürliche Klangvielfalt, die sich hier ganz und gar entfaltet, ob das nun das Muhen von Kühen, das Reden von Menschen oder einfach nur das Rauschen des Meeres ist. Dabei erreicht das Werk eine immense Wirkkraft. Er ist Film in seiner pursten Form – etwas für die Sinne, zum Sehen, Hören und Fühlen. Ein Film, der auf die große Leinwand gehört, weil nur dort die Bilder ihre ganze Wucht entfalten können.

Peter Osteried

 


 

Ein Film über das Wattenmeer. Was sich im ersten Moment wenig aufregend anhört, erweist sich in Pieter-Rim de Kroons Dokumentation „Der Atem des Meeres“ als spektakulärer Blick auf eine Natur- und Kulturlandschaft mitten in Europa. Ohne Kommentar, in sensationell scharfen, brillanten Bildern zeigt de Kroon das Watt und seine Bewohner zwischen den Niederlanden und Dänemark.

Fast ist man versucht zu denken, dass die Dokumentation „Der Atem des Meeres“ eine Reaktion auf die Corona-Beschränkungen ist, die Reisen in ferne, exotische Länder unmöglich machte und einen Film quasi vor der Haustür attraktiv. Aber so ist es natürlich nicht, die Idee, einen Film über das Wattenmeer zu drehen schwirrte schon seit Jahren durch den Kopf des niederländischen Regisseurs Pieter-Rim de Kroon, nach dem Entschluss, die Idee filmisch umzusetzen, folgten Monate der Recherche auf den rund 600 Kilometern, die das Wattenmeer zwischen den Niederlanden, Deutschland und Dänemark umfasst. An rund 150 Tagen wurde gedreht, mit einer neu entwickelten, hochauflösenden Kamera, deren Bilder von atemberaubender Tiefe und Schärfe eine der großen, aber beileibe nicht die einzige Qualität von „Der Atem des Meeres“ darstellen.

„Dutch Light“, Hollands Licht, so heißt nicht nur Pieter-Rim de Kroons erster langer Dokumentarfilm, sondern auch seine Produktionsfirma. Schon die großen Maler der Niederlande waren berühmt für das spektakuläre Licht, das ihren Gemälden eine ganz besondere Qualität verlieh, und so überrascht es wenig, dass ein Kameramann aus den Niederlanden ein spezielles Interesse und auch ein besonders Auge für Licht hat.

Immer wieder lässt de Kroon in „Der Atem des Meers“ dann quasi auch das Licht für sich sprechen, zeigt lange Einstellungen, in denen Küste, Meer und Himmel, zusammen mit der Gischt des Meeres und den vorüberziehenden Wolken ganz eigene Kompositionen erzeugen. Scheinbar unberührt wirkt die Natur in diesen Momenten, frei von Mensch und Tieren. Doch dem ist natürlich nicht so, das Wattenmeer ist Heimat vielfältiger Tierarten, Schafe weiden an den Küstenstreifen, Robben aalen sich im Matsch, unzählige Vögeln nisten an versteckten Stellen. Und auch der Mensch nutzt das Wattenmeer, zur Erholung und zur Forschung, aber auch als Übungsgelände fürs Militär. In einem Moment sind friedliche Wissenschaftler zu sehen, die mit Fernrohr und Notizblock Vögel beobachten, im nächsten hochgerüstete Soldaten, die im Wattenmeer Übungen durchführen und mit Jagdfliegern Behelfsziele angreifen. Aus diesen Kontrasten schöpft „Der Atem des Meeres“ seine erzählerische Kraft, die de Kroon ohne erklärende Kommentare, ohne Interviews entwickelt. In manchen Momenten sind Lotsen zu hören, dann Forscher oder Bauern, die erst ihre Herden zum Grasen führen, im nächsten Moment ins Schlachthaus.

Seit 2014 ist das Wattenmeer Weltnaturerbe und wer da denkt, warum eine auf den ersten Blick so unspektakuläre Region diesen herausgehobenen Status erhalten hat, der wird nach „Der Atem des Meeres“ eines Besseren belehrt sein. Die Vielfalt an Flora und Fauna der Landschaft beeindruckt enorm, aber wie de Kroon immer wieder zeigt: Das Wattenmeer ist kein abgeschlossener Naturpark, sondern eine dicht besiedelte, vielfältig genutzte Region im Herzen Europas. Manchmal muss es eben nichts Exotisches sein, manchmal liegt das Schöne und Beeindruckende direkt vor der Haustür.

Michael Meyns