Aus dem Bestseller ist ein Gute-Laune-Film geworden: ein märchenhaftes, witziges Abenteuer, das mit viel Humor – und zusätzlich mit feiner Ironie – das Bücherlesen propagiert, und zwar interessanterweise nicht nur zwecks Bildung und Unterhaltung, sondern auch als Mittel der Kommunikation mit anderen.
Christoph Maria Herbst spielt die Hauptrolle eines alten Buchhändlers, der die Bücher zu den Menschen bringt. Das macht er ganz wunderbar, und die kleine Yuna Bennett als Schascha ist ihm eine gleichwertige Partnerin. Sie bringt Schwung und ein neues Lebensgefühl in den Alltag des einsamen Buchspazierers.
Ein Film für die ganze Familie: mit Witz, Herz und Gefühl und beinahe vollkommen kitschfrei.
Webseite: https://www.studiocanal.de/title/der-buchspazierer-2024/
Deutschland 2024
Regie: The Chau Ngo
Drehbuch: Andi Rogenhagen
Mitwirkende: Christoph Maria Herbst, Yuna Bennett, Ronald Zehrfeld, Edin Hasanovic, Maren Kroymann
Musik: Marvin Miller, Sebastian Fillenberg
Länge: 98 Minuten
Verleih: StudioCanal
Start: 10. Oktober 2024
FILMKRITIK:
Eigentlich ein modernes Märchen, zumindest aber eine romantische Geschichte, die auf liebenswerte Weise altmodisch wirkt. Da ist zum einen die Stimme der Erzählerin, die mit leiser Ironie die Handlung kommentiert. Schauplatz ist „das Dorf der Lesenden“, und das betont den Märchencharakter. Der Held der Geschichte und ihr Namensgeber heißt Carl Kollhoff (Christoph Maria Herbst) und ist ein eigenbrötlerischer, in Ehren ergrauter Buchhändler, der – obwohl längst im Ruhestand – jeden Tag mit einem großen Rucksack, gefüllt mit Büchern, die er persönlich ausgewählt und liebevoll verpackt hat, seine Kundschaft besucht. Als ihm eines Tages Schascha (Yuna Bennett) begegnet, ein aufgewecktes neunjähriges Mädchen, ist er zunächst irritiert, denn sie folgt ihm fortan auf Schritt und Tritt.
Beide, der alte Mann und das kleine Mädchen, sind im Grunde einsam, beide lieben Bücher und das Lesen. Für Carl sind die Bücher seine Familie, wo er Halt findet. Seinen Kundinnen und Kunden gibt er heimlich Namen aus der Weltliteratur, mit denen er sie charakterisiert. Und so heißen sie Mr. Darcy, Effi Briest, Herkules und Pippi Langstrumpf. Aber tatsächlich kennt er sie gar nicht, die Namen gibt er ihnen lediglich aufgrund von Äußerlichkeiten. Erst mit Schascha wird sich das ändern. Für Schascha haben Bücher eine andere Bedeutung als für Carl: Schascha möchte über Bücher mehr wissen, sie will dazulernen, sich selbst und die Welt verändern. Sie lässt die Bücher in ihr Leben hinein und überwindet die Grenzen zwischen der Fantasiewelt der Bücher und ihrer eigenen Sichtweise. Sie muss den Tod ihrer Mutter verkraften, die für sie das große Vorbild ist. Ihre Neugier ist entwaffnend, und außerdem gibt sie überall ihren Senf dazu. Damit sorgt sie bei Carl zunächst für Entsetzen, doch dann folgt die Einsicht. Seine Bücher waren sein Schutz, wie eine Mauer vor dem Leben da draußen. Doch dank Schascha lernt er eine neue Welt kennen, in der er echte Menschen auftauchen, die echte Probleme haben – so wie er selbst. Mit Schascha und Carl finden sich zwei verwandte Seelen, die sich eigentlich gar nicht gesucht haben. Gemeinsam bringen sie über ihre Freundschaft und ihre Liebe zu Büchern die Menschen zusammen. Und sie entdecken, wie wichtig es ist, miteinander zu sprechen, wenn man etwas (und sich selbst) verändern will.
Das Drehbuch von Andi Rogenhagen nach dem Bestseller-Roman von Carsten Henn ist die Grundlage für einen Gute-Laune-Film, der vom ersten Moment an eine liebenswürdige Atmosphäre verströmt. Dafür sorgen die feinen Dialoge, eine liebevolle Ausstattung, aber vor allem Christoph Maria Herbst („Der Spitzname“) in der Hauptrolle: ein sympathischer Nerd aus vergangenen, analogen Zeiten, ein knorrig knurriger Außenseiter. Die kleine Yuna Bennett ist als Schuscha mit viel Spielfreude dabei. Da muss Christoph Maria Herbst schon seinen gesamten Charme einsetzen, um gegen die überaus natürlich aufspielende junge Dame zu bestehen. Und er schafft das, indem er einen Helden spielt, der immer sympathischer wird, bis er am Ende ein richtig lieber, knuffiger alter Herr geworden ist. Ronald Zehrfeld („Zwei zu eins“) überzeugt als Schaschas Vater, der mit rustikaler Rumpligkeit versucht, den Tod seiner Frau zu überwinden und als alleinerziehender Vater zu bestehen. Maren Kroymann („Buba“), genannt Frau Langstrumpf und in Wahrheit eine pensionierte Deutschlehrerin, erweist sich einmal mehr als Erz-Komödiantin und darf so richtig auf den Putz hauen.
Das Interessante an diesem Film über die Liebe zum Lesen ist: Es geht eigentlich mehr um den Wert der Freundschaft und der Mit-Menschlichkeit als ums Lesen. Dieser Aspekt wird immer stärker, bis er schließlich den Film dominiert. Zu Beginn finden sich das Mädchen im praktischen Overall und der alte Buchhändler als Team, sie teilen ihre selbst gebaute Welt der Illusionen, die sie sich über Bücher aufgebaut haben. Doch dann dringt die Realität in die Welt der beiden Buchfans ein. Je besser sie einander und die Kundschaft kennenlernen, desto klarer werden die Schwierigkeiten, die Päckchen, die alle tragen müssen. Was vorher vielleicht klischeehaft wirkte, z. B. die Namen aus der Weltliteratur, wird durch die Wirklichkeit eingeholt und überholt. Effi Briest entpuppt sich als misshandelte Ehefrau, und die leicht angestaubte Buchhandlung verwandelt sich in eine orangefarbene bücher- und herzlose Multimedia-Hölle.
Anders als die Romanvorlage wendet sich der Film auch an ein junges Publikum, dennoch gibt es keinen bildungsbürgerlichen Zeigefinger. Literaturkenntnisse werden hier nicht besserwisserisch serviert, sondern in passenden, kleinen Dosierungen. Dabei ist aber offensichtlich, dass Carl über ein unfassbar großes Wissen verfügt. Aber er gibt nicht damit an. Vielmehr geht es bodenständig zu, die kleinen Zitate und Anspielungen auf die Weltliteratur sind nur eine Art Bonus fürs Publikum. Denn es geht um etwas ganz anderes. Die Botschaft lautet: Bücher schaffen Verbindungen und können die Welt verändern.
Gaby Sikorski