Der Fall Collini

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Es ist sicher nicht einfach, über ein halbes Jahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkrieges Interesse zur Geschichte nationalsozialistischer Verbrechen zu wecken. Doch Regisseur Marco Kreuzpaintner gelingt es mit seinem exzellent besetzten Drama noch einmal Licht ins Dunkel dieses immer wieder verdrängten Kapitels zu bringen. Basierend auf dem Justiz-Roman des Bestsellerautors Ferdinand von Schirach beleuchtet er spannend einen der größten Justizskandale der deutschen Geschichte. Mit Hauptdarsteller Elyas M’Barek als idealistischen Junganwalt erschließt sich hoffentlich auch der jüngeren Generation dieses wichtige, komplexe Thema. Denn die Schlussstrichmentalität der Nachkriegsgesellschaft mit der verordneten „Gnade der späten Geburt“ kann keine Lösung sein.

Webseite: www.fachbook.com/Collini/

Deutschland 2019
Regie: Marco Kreuzpaintner
Darsteller: Elyas M'Barek, Alexandra Maria Lara, Franco Nero, Heiner Lauterbach, Manfred Zapatka, Jannis Niewöhner, Rainer Bock, Catrin Striebeck, Pia Stutzenstein, Peter Prager, Hannes Wegener
Länge: 118 Minuten
Verleih: Constantin
Kinostart: 18. April 2019

FILMKRITIK:

Der Fall scheint eigentlich hoffnungslos: Der frischgebackene Anwalt Caspar Leinen (Elyas M'Barek) wird zum  Pflichtverteidiger eines Mannes (Franco Nero) ernannt, der nicht mit ihm spricht. Auch Reue zeigt er nicht. Der 70jährige Italiener Fabrizio Collini arbeitete 30 Jahre lang unbescholten in Deutschland. Plötzlich tötet der Rentner anscheinend grundlos den angesehenen Großindustriellen Jean-Baptiste Hans Meyer (Manfred Zapatka), einer der letzten Wirtschaftswundermänner, in seiner Berliner Hotelsuite. Danach stellt er sich in der Lobby widerstandslos der Polizei.

Es ist der erste große Fall für den jungen, unerfahrenen Strafverteidiger. Und er bringt ihn in eine totale Zwickmühle. Denn in der Villa des Mordopfers ging er als Kind und Jugendlicher ein und aus. Er war der Großvater seines Schulfreundes Philipp. Für den Jungen einer alleinerziehenden, türkischen Mutter wurde Eigentümer der Meyerschen Maschinenfabrik zum Ersatzvater. „Du bist doch befangen“, versucht ihn deshalb die Enkelin Johanna (Alexandra Maria Lara) von dieser Verteidigung abzubringen. „Wie kannst du das machen, nach allem was Großvater für dich getan hat?“ fragt sie ihn vorwurfsvoll.

Dass Johanna zudem seine Jugendliebe war macht ihm sein erstes Mandat nicht leichter. Während der ewigen Internatszeit war sie für Caspar unerreichbar. Dann aber, in seinen letzten Ferien mit Philipp, kam sie aus London angereist, um ihm am allerletzten Abend einen Kuss zu geben. Doch er lässt sich nicht beirren. Denn auch der berühmte Strafverteidiger Richard Mattinger rät ihm zunächst dazu den Fall zu übernehmen und sich nicht von persönlichen Gefühlen leiten zu lassen. Dem idealistischen Anwalt graut es außerdem vor Großkanzleien, deren Anwälte wie Bankiers aussehen und nach teuren Autos lechzen.

Er gibt nicht auf ein Motiv für die scheinbar sinnlose Tat zu suchen. Er möchte herausfinden, ob es Verbindungen zwischen der Firma und der organisierten Kriminalität gab. Mattinger, der inzwischen von Johanna als Nebenkläger engagiert wurde, lädt Caspar zu einem Segeltörn ein. Der aalglatte Staranwalt bietet ihm einen Deal an, den sein Mandat ablehnt. Angewidert wendet Caspar sich auch vom Justiziar der Meyer-Werke ab, der ihn bestechen will, um den Prozess ohne viel Aufmerksamkeit der Medien schnell zu beenden. Am Ende kommt er nach hartnäckigen Recherchen der NS-Vergangenheit Meyers auf die Spur, die ins italienische Montecatini des Jahres 1944 führt. Und damit stößt er gleichzeitig auf einen Justizskandal.

Meist ist der talentierte Elyas M'Barek („Fack ju Göhte“) eher in Filmen zu sehen, die oftmals durchaus als leichtere Kinokost gelten. Den beliebten Schauspieler in einer ernsten Rolle auf der großen Leinwand zu erleben ist beeindruckend.  Der 77jährige Weltstar Franco Nero an seiner Seite ist zusätzlich ein wahrer Glücksfall für das komplexe Thema. Mit seiner Ausstrahlung verleiht er seiner Figur eine faszinierende Kraft zwischen Zerbrechlichkeit und Stärke. Sehr überzeugend wirkt auch Heiner Lauterbach, der den schillernden Charakter des eitlen Star-Juristen in all seinen Facetten perfekt verkörpert.

Auf dem Höhepunkt der 1968er-Studentenrevolte amnestiert der Bundestag Nazi-Verbrecher  durch eine Reform des Ordnungswidrigkeiten-Gesetzes. Die juristische Vertuschung der braunen Vergangenheit führt zur Einstellung tausender Strafverfahren gegen NS-Täter.  Die Opfer werden damit in unglaublicher Weise verhöhnt. Dieser Justizskandal ist ziemlich in Vergessenheit geraten. Dass die deutsche Justiz bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen versagt hat, zeigt Regisseur Marco Kreuzpaintner spannend mit seinem exzellent besetzten Drama. Damit gelingt es dem 41jährigen noch einmal Licht ins Dunkel dieses immer wieder verdrängten  Kapitels zu bringen.

Denn die Verarbeitung ist weder auf politischer Ebene noch in den Familien abgeschlossen. Basierend auf dem Justiz-Roman des Bestsellerautors Ferdinand von Schirach beleuchtet er packend einen der größten Justizskandale der deutschen Geschichte. Der versierte Bayer zählt zu jener Garde junger Filmemacher, die als „Deutsches Regie-Wunder“ in Hollywood Schlagzeilen machte. Mit 25 Jahren drehte er seinen ersten Langspielfilm, „Ganz und gar“. Sein dritter Spielfilm, ein Polit-Thriller über die Hölle der modernen Sexsklaverei „Trade - Willkommen in Amerika“, entstand schon in den USA, unter den Fittichen von Roland Emmerich.

Luitgard Koch