Er war Psychologe, Sex-Guru, wurde als Wunderheiler angepriesen und als Scharlatan verfolgt. Der Österreicher Wilhem Reich musste vor den Nazis in die USA fliehen, aber auch hier eckte er unter der McCarthy-Paranoia mit seinen Theorien und seinem ganzheitlichen Denkansatz an. Der Regisseur Antonin Svoboda näherte sich dem widersprüchlichen Wirken Reichs bereits mit einer TV-Dokumentation („Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?“, 2009). Mit dem großartigen Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle stellt er nun dessen Person in den Mittelpunkt.
Webseite: www.reich-derfilm.de
Österreich 2012
Regie & Buch: Antonin Svoboda
Darsteller: Klaus Maria Brandauer, Julia Jentsch, Jeannette Hain, Brigitte Minichmayr, Markus Schleinzer
Länge: 110 Minuten
Verleih: Movienet Film, Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 5. September 2012
PRESSESTIMMEN:
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FILMKRITIK:
Die USA in den 50er-Jahren: Wilhelm Reich (Klaus Maria Brandauer) forscht intensiv an der von ihm entwickelten Orgon-Therapie. Neben dem Orgon-Akkumulator, der Menschen unter anderem von Unfruchtbarkeit heilen soll, entwickelt er einen so genannten Cloudbuster, mit dem er Regen machen will. Aber dem US-Gesundheitsministerium sind seine obskuren Methoden ein Dorn im Auge. Reichs Tochter Eva (Julia Jentsch) und seine Frau Ilse (Jeannette Hain) verzweifeln regelmäßig an Reichs Sturköpfigkeit, denn der Wissenschaftler weigert sich, einer gerichtlichen Vorladung zu folgen. Die Ermittler setzen Reichs Mitarbeiterin Aurora (Brigitte Minichmayr) unter Druck, ihnen Informationen über ihn zu beschaffen. Als Reich schließlich doch vor Gericht erscheint, besteht er darauf, sich selbst zu verteidigen.
Waren Reichs Theorien nun kompletter Humbug, sein Orgon-Akkumulator in Wahrheit ein nutzloser Holzkasten? Man kann dem Film vorwerfen, dass er es dem Zuschauer nicht ermöglicht, sich eine eigene Meinung zu bilden. Mehrdeutigkeit ist seine Sache nicht. Reich ist hier ein zwar besessener, aber sympathischer Forscher, dessen Theorien sich nicht wissenschaftlich beweisen lassen, die aber doch einen Kern Wahrheit zu haben scheinen. So hilft Reich einem Ehepaar, das sich schon lange ein Kind wünscht, mittels seinem Wunderkasten. Das Drehbuch spitzt das Geschehen noch in einer Gut-Böse-Polarität zu, indem es einen US-Psychiater auftreten lässt, der unmenschliche Experimente mit seelisch Kranken durchführt.
Vielleicht sollte man, um sich Wilhelm Reich wirklich zu nähern, zunächst Svobodas Doku sehen und sich selbst in die Literatur über ihn und seine Arbeit einlesen. Aber das ist nicht nötig, um diesen Film genießen zu können. Denn hier geht es Svoboda vor allem darum, das Prinzip deutlich zu machen, für das Reich gestanden hat. Menschlichkeit, Zugewandtheit, das Wohlergehen des Inviduums stehen unzweifelhaft im Zentrum von seinen Bemühungen. „Wie wollen wir gesund leben unter den dicken Panzern, die uns umgeben?“, fragt Reich. Svoboda zeigt die 50er-Jahre als eine Zeit, in der die Wunden des Zweiten Weltkrieges noch immer schwären und menschliche Beziehungen vergiften.
Vielleicht ist das Interesse an Wilhelm Reich deshalb bis heute ungebrochen. Waren es für die Studenten der 60er-Jahre seine Studien zum Orgasmus, ist heute eher sein ganzheitliches Weltbild wieder aktuell. In Svobodas Film steht Reich denn auch stellvertretend für eine Denkrichtung, die nicht nur in esoterischen Kreisen viele Anhänger hat. Dafür findet der Regisseur dichte Bilder. Den unaufgeregten, entspannten Ton seines Film verdankt er aber vor allem auch der völlig uneitlen und doch mächtigen Präsenz von Klaus Maria Brandauer. Frei von jeder Selbstverliebtheit gibt er seinem Wilhelm Reich trotz aller Niederlagen einen bezwingenden, tief verankerten Optimismus, der jedem stressgeplagten Zuschauer etwas von seiner unerschütterlichen Ruhe mitgibt.
Oliver Kaever
Wilhelm Reich ist seit langem tot, doch viel von dem, was er dachte, erforschte und verkündete, gilt heute noch.
Er war ein hochrangiger Forscher, aber auch ein Querkopf. Er, der als Jude aus Europa, wo seine Bücher verbrannt wurden, fliehen musste und sich in den USA niederließ, drang tief in die Psychologie des Menschen ein, tiefer als viele andere Professionelle. Mit den amerikanischen Berufsverbänden kam es deshalb zum Streit, ebenso mit Sigmund Freud. Reich erzielte Erfolge, die ihm geneidet wurden.
Er trug wesentlich zur sexuellen Befreiung bei, im damaligen Amerika von juristischem Belang. Er kam später ins Gefängnis, ihm wurde der Prozess gemacht, er wurde verurteilt – auch weil er gerichtliche Anordnungen missachtete.
Seine Gegner erreichten, dass er geächtet wurde, dass der Staat sich gegen ihn stellte: die Gesundheitsbehörde, die McCarthy-Clique. Seine Mitarbeiterin Aurora wurde auf ihn angesetzt. Eine Hetzjagd. Zuweilen war sein Widerstand, seine Dickköpfigkeit so stark, dass auch seine Frau Ilse und seine Tochter Eva sich gegen ihn stellten.
Reich war überzeugt, dass eine alles umfassende Energie Kosmos, Menschen und Leben zusammenhält. Er nannte sie Orgon und war überzeugt, dass deren freier Fluss eine wesentliche Voraussetzung physischer und psychischer Gesundheit war. Er wurde belächelt – obwohl wir spätestens heute wissen, dass uns unbekannte Energiequellen und –ströme bestehen.
Ein auf mehreren bestens montierten Zeitebenen gestalteter wissenschaftsgeschichtlicher und kulturhistorisch inhaltsreicher Film, menschlich bewegend, nicht mit dem Finger auf die Welt zeigend – obwohl dies der Fall sein müsste. Ein kultureller und filmischer Wurf von Regisseur Antonin Svoboda.
Aber auch von Klaus Maria Brandauer, der den Wilhelm Reich spielt. Man muss mit Übertreibungen immer sehr vorsichtig sein, doch in diesem Fall kann Brandauers spielerische Reife wirklich nicht anders als sensationell genannt werden.
Er hat zudem eine gute Truppe neben sich: Julia Jentsch als Eva Reich, Jeanette Hain als Ilse Reich, Birgit Minichmayr als Aurora oder Kenny Doughty als sein Assistent und Freund Paul.
Thomas Engel